Lichterspiele
Heimweg von der Arbeit spontan auf einen Drink vorbeigekommen. Gewöhnlich war das Doppelleben, das er mit Marcus führte, indem er mit ihm in der Galerie arbeitete und im selben Haus wohnte, in keiner Weise strapaziös. Aber im Moment gestaltete es sich schwieriger als sonst. Als Robert von einer Geschäftsreise nach Paris zurückgekehrt war, hatte er Marcus verändert gefunden: nervös, besorgt, außerstande, sich länger als fünf Minuten auf etwas anderes als das Problem Emma Litton zu konzentrieren. Nach einer Diskussion mit ihm war Robert klar, daß Marcus sich die Schuld gab für das, was passiert war, und sich sein schlechtes Gewissen auch nicht ausreden lassen wollte. Helen hatte überhaupt keinen Sinn für seine Selbstvorwürfe und riet ihm nur kühl, sich nicht noch tiefer in die ganze verkorkste Angelegenheit hineinziehen zu lassen. Im Augenblick waren die Spannungen in Milton Gardens fast körperlich spürbar.
Das Wetter machte die Situation auch nicht besser. Nach einem kalten Frühling befand sich London plötzlich mitten in einer regel rechten Hitzewelle. Frühmorgens lag perlmuttschimmernder Ne bel über der Stadt, der sich allmählich auflöste und Tag für Tag sen gende Sonne freigab. Junge Mädchen gingen in ärmellosen Kleidern zur Arbeit, die Männer legten die Jacken ab und saßen in Hemds ärmeln an den Schreibtischen. Die Parks verwandelten sich zur Mit tagszeit in riesige Picknickplätze; vor den Geschäften und Restaurants leuchteten gestreifte Markisen, Fenster wurden beim leisesten Lüftchen aufgerissen, und auf den Straßen reflektierten geparkte Autos die Hitze, die Bürgersteige dampften, und der geschmolzene Teer klebte an den Schuhsohlen.
Wie eine fürchterliche Epidemie war die Hitze sogar in die ruhigen, teichgrünen Räume der Galerie Bernstein eingedrungen. Den ganzen Tag war der Strom von Besuchern und potentiellen Kunden nicht abgerissen; die Touristensaison hatte begonnen, und das war die hektischste Zeit in der Galerie. Als alles vorüber war, hatte Robert sich auf der Heimfahrt nach einem neuen Gesicht gesehnt, nach einem kalten Drink und einem Gespräch, das nichts mit Kunst und Künstlern zu tun hatte, egal ob Renaissance, Impressionisten oder Pop-art.
Und da war ihm spontan Jane Marshall eingefallen.
Ihr kleines Haus lag in einem engen Geviert aus umgebauten Stal lungen zwischen Sloane Square und Pimlico Road. Als er den Wagen in die Straße lenkte und auf dem Kopfsteinpflaster das Tempo drosselte, drückte er zweimal auf die Hupe. Jane erschien am offe nen Fenster im oberen Stockwerk, die Hände auf dem Fensterbrett; die blonden Haare fielen ihr ins Gesicht, als sie sich hinauslehnte, um nachzusehen, wer es war.
„Robert! Ich dachte, du bist noch in Paris.“
„Ich bin seit zwei Tagen zurück. Hast du einen kühlen Drink für einen erschöpften, arbeitenden Mann?“
„Natürlich. Moment. Ich komm runter und mach dir auf.“
Ihr Haus war einfach wunderbar. Ursprünglich eine Kutscher hütte, hatte es eine steile, schmale Treppe, die in den ersten Stock führte. Hier befanden sich die Diele, das Wohnzimmer und die Kü che, und noch ein Stockwerk höher in der Dachschräge lagen Schlaf zimmer und Bad. Es war auch schon so beengt genug, aber seit sie ihre Inneneinrichtungsfirma gegründet hatte, platzte das Haus aus allen Nähten. Das Wohnzimmer hatte sie in ein Arbeitszimmer ver wandelt, trotzdem drangen die Stoffballen, die Litzen und Kissen und die kleinen Nippessachen, die sie so geschickt aufzuspüren wußte, in jede verfügbare freie Ecke vor und machten das Ganze so fröhlich bunt wie eine Patchworkdecke.
Sie freute sich, ihn zu sehen. Sie hatte den Vormittag mit einer langweiligen Frau verbracht, die ihr ganzes Haus in St. John's Wood cremefarben einrichten wollte, was sie „Renovierung in Magnolie“ nannte. Und dann war eine junge Schauspielerin gekommen, die etwas Ausgefallenes für ihre neue Wohnung wollte.
„Sie saß stundenlang hier und zeigte mir Bilder, wie sie sich die Sache vorstellte. Ich versuchte ihr klarzumachen, daß sie einen Bull dozer brauche, keine Innenarchitektin, aber sie wollte nicht auf mich hören. Diese Leute hören ja nie auf einen. Whisky?“
„Das“, sagte Robert, als er sich vor dem offenen Fenster aufs Sofa fallen ließ, „ist das Netteste, was ich heute gehört habe.“
Sie schenkte zwei Gläser ein, versorgte ihn mit Zigaretten und Aschenbecher und setzte sich ihm dann gelassen gegenüber. Sie war ein sehr
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