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Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren

Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren

Titel: Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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Einritzungen der nachtgeborenen Schrift und hielt inne, um Balthasars Tarnbrief an den Leiter des Schlichtungsrates zu entziffern – Bals Vorsichtsmaßnahme, seine Nachricht an sie vor seinen eigenen Leuten zu verbergen. Sie schüttelte den Kopf: Vielleicht hatte sie ihn zu viel gelehrt.
    Da für den Prinzen gegenwärtig kein Bedarf an ihren speziellen Diensten bestand, blieb ihr genug Zeit, kurz nach Hause zu gehen und nachzusehen, ob sie noch weitere Nachrichten erhalten hatte, und – für den Fall, dass sie keine vorfand – genug Zeit, um ein Auskunftsersuchen direkt an den erzherzoglichen Palast zu schicken. Tam unterhielt sich noch mit dem Prinzen; im Anschluss daran wollte sie so bald wie möglich mit ihm sprechen. Eine Mitteilung an den neuen Hauptmann, Lapaxo, mit dem Versprechen, rechtzeitig vor dem Abendbrot wieder zurück zu sein, verschaffte ihr die Genehmigung, den Palast zu verlassen.
    Trübes Sonnenlicht färbte die Westseite des Palastes ein. Die ersten Palastangestellten – diejenigen, die nicht an den umfangreichen Vorkehrungen für die Beerdigung beteiligt waren – machten sich bereits auf den Heimweg in die umliegenden Viertel. Über der Arbeitskleidung trugen sie allesamt rote Jacken. Ob eine Amtsenthebung rechtmäßig war oder nicht, spielte im öffentlichen Dienst keine Rolle. Hier bestimmte allein die Tradition.
    Sie hob den Blick und sah durch den Garten hinüber zu der Mauer, die den Palast umgab. Vor vier oder fünf Jahrhunderten, lange bevor die Felder und Wiesen den Gärten, Marktplätzen und Gebäuden weichen mussten, als der Palast und sein Dienstpersonal noch klein und übersichtlich waren, hatte sich diese innere Stadt nahezu selbst versorgen können. In jenen Zeiten durften Prinzen auch noch darauf hoffen, im Bett zu sterben.
    Mutter Aller, sie empfand mehr Überdruss, als sie hier bei Hofe jemals zeigen durfte. Möglicherweise konnte sie die Mutlosigkeit ihres Vaters nach dem Tod seines eigenen Prinzen jetzt verstehen. Allerdings glaubte sie nicht, dass Benedict von Darian verlangt hatte, sich um Isidore zu kümmern, wie Isidore es zugunsten seines Sohnes von Floria gefordert hatte.
    Sie setzte sich einen Netzhut auf und blickte durch dessen breite Krempe in die Sonne. Eine Lichtgeborene mochte Floria wohl sein, doch die Sonne verbrühte sie regelrecht. Bleich wie eine Nachtgeborene , flüsterten die fantasievolleren ihrer Feinde. Doch weder sie noch ihre Feinde hatten je einen Nachtgeborenen gesehen und konnten somit auch nicht wissen, ob nachtgeborene Haut tatsächlich so weiß war wie Milch, was einige vermuteten, oder so schwarz wie Onyx, worauf andere spekulierten. Und die Nachtgeborenen selbst konnten es ja nicht wissen.
    Aufgrund ihrer Abneigung gegen Menschenmengen mied sie die üblichen Wege der Dienerschaft und wählte stattdessen eine Reihe freier Pfade über offene Rasenflächen, entlang zahlreicher stiller Teiche, in denen sich ein paar Wölkchen spiegelten. All das wird er nie mehr sehen , dachte sie, und der Verlust traf sie wie ein Dolch. Mutter Aller, wer dafür verantwortlich ist, wird seiner verdienten und gerechten Absetzung nicht entgehen, und ich sorge dafür, dass sie ganz besonders schmerzvoll wird.
    Die rotgewandeten Wachen am Seiteneingang ließen sie wortlos passieren. Der nächste Atemzug fühlte sich befreiter an, und sie warf keinen Blick zurück, bis sie die nächste Ecke erreicht hatte. Dort angekommen, drehte sie sich um und betrachtete die Mauer, die großen, aber undurchsichtigen Fenster der oberen Stockwerke des Palastes und den monolithischen Tempelturm dahinter, dessen weiße Mauern, Balkone und Zinnen im hellen Sonnenlicht erstrahlten. Mit jeder Generation wuchs der Turm in seiner Erhabenheit, bis schließlich sogar bei den Nachtgeborenen – begeisterte Baumeister, die sie waren – Proteste laut wurden, dass die Standfestigkeit des Turms nicht mehr gewährleistet sein könne. Der Anblick des Turmes löste in ihr stets eine gewisse Unruhe aus, doch sie schüttelte den Kopf über die Sinnlosigkeit eines Disputes über Dinge, die man nicht ändern konnte, da sie einer natürlichen Ordnung unterlagen, und setzte den Weg in ihr bescheidenes Heim fort, das direkt auf der Grenze zwischen dem Distrikt der Lichtgeborenen und dem der Nachtgeborenen lag.
    Floria achtete sehr genau auf ihre Umgebung, während sie sich ihrem Haus näherte, einem Bauwerk bar jedweder Sträucher, Reliefs und anderer Verzierungen. Die Ziegelsteine präsentierten sich

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