Lichtjahreweit
einen Verbündeten gefunden, wie es ihn selten im Strom der Zeit gegeben hatte, und wenn doch, dann nur hoch oben im Raum zwischen den Sternen, im stillen Frost der Leere, wo die Nachtmahre in den verschneiten Schluchten wandernder Welten genistet und mit der Geduld Milliarden Jahre alter Raubtiere auf ihre Opfer gewartet hatten, um schließlich auf die Gehörnten zu treffen und als deren Diener zur Erde zu schwärmen und dort die Eisenmänner zum Totentanz zu bitten. Doch trotz all ihrer Schlechtigkeit, trotz ihres heißen Durstes nach Blut und Leben waren die Nachtmahre im Vergleich zu den Gehirnen wie sanfte, unschuldige Kinder.
Denn die Gehirne waren nicht die Gefangenen ihrer Bosheit wie die kosmischen Gespenster, sondern sie wußten stets, was sie taten. Die Gehirne kannten den Unterschied zwischen Gut und Böse und sie bekämpften das Gute aus freiem Entschluß, aus freien Stücken, in rasender Wut. Und die Gehirne bedienten sich nicht nur Männer wie Calhan oder Frauen wie Lyzis zur Durchführung ihrer verdorbenen Pläne – sie mißbrauchten sogar das heiligste aller Dinge unter der Sonne.
Sie mißbrauchten die Liebe.
Die Liebe.
Sie wußten, daß Than Mayen verliebt war.
Hoffnungslos, rettungslos, verzweifelt verliebt.
Er war verliebt in das Leben, in die Gesundheit, in die Vollkommenheit. In rosige Haut, in kräftige Glieder, in gesunde Organe, in starke Nerven, in scharfe Augen und hellhörige Ohren, in die Straffheit der Muskeln und die Elastizität der Sehnen, in den stetigen Schlag des Herzens und den ruhigen Fluß des Blutes, in die Klarheit des Verstandes und die Geradheit der Gedanken. Wenn er Frauen liebte, dann nicht, weil ihn ihre Persönlichkeit und ihre Schönheit an sich beeindruckten, sondern weil sich in ihnen die Persönlichkeit und die Schönheit des Lebens spiegelte. Wenn er Männer liebte, dann nicht, weil er die Helligkeit ihres Lächelns und die Berührung ihrer Hände mochte, sondern weil ihr Lächeln und ihre Berührung die Reflexion des Lebens waren. Wenn er Knaben liebte, dann liebte er an ihnen die Frische der Jugend. Wenn er Mädchen liebte, dann liebte er das verheißungsvolle Versprechen der Weiblichkeit. Wenn er Tiere liebte, dann das animalisch Wilde, das Ungezähmte, Urtümliche.
Than Mayen hatte um die Liebe des Lebens gebuhlt. Er hatte alles getan, um dem Leben zu gefallen und um vom Leben erhört zu werden. Er hatte alles getan, um der Gesundheit den Kopf zu verdrehen, und sie fest und auf ewig in seine Arme zu schließen. Er hatte alles getan, um die Vollkommenheit zu freien, und sie als seine Braut heimzuführen und für immer bei sich zu behalten. Seine Kriege waren Kriege der Liebe gewesen, seine Schlachten Schlachten der Minne, seine Kämpfe Kämpfe der Betörung. Er hatte sich selbst verschenkt, sich mit seinem ganzen Selbst hingegeben und zuversichtlich auf das Jawort seiner Braut gewartet.
Aber statt ihm das Jawort zu geben, hatte ihm das Leben etwas genommen.
Ein Bein.
Das rechte Bein.
VII
»Ich werde sterben«, sagte Than Mayen zu der Stadt, die im fahlen Mitternachtslicht des Eisenrings zu seinen Füßen lag und ihm mit marmorner Geduld zuhörte. »Ich werde sterben, am Leben sterben, und es gibt nichts und niemand, der mich noch retten kann. Es hat mir das Herz gebrochen. Es hat mir das Herz gebrochen und meine Seele zerschnitten und meinen Leib verkrüppelt. Es ist fortgegangen und es kommt nicht mehr zu mir zurück. Niemals wieder. Was geblieben ist, das ist ein Echo, eine Erinnerung, aber keine Erinnerung an etwas, das einmal war, sondern an etwas, das einmal hätte werden sollen. Es hat mich verschmäht. Es hat mich zurückgewiesen und das auf eine Art, auf die niemand zurückgewiesen werden darf. Es verhöhnt mich, und es verlacht mich, und es tötet mich. Das Leben tötet mich. Das Leben.«
Die Stadt hörte zu, während das Polmeer an die Küsten von Mirsingval brandete und fern am wässrigen Horizont das Nordlicht mit blauen und orangeroten Fackeln flackerte. Die Leuchttürme, die sich wie rheumatisch starre Finger auf den Platinklippen am Rande der Stadt erhoben, antworteten dem Nordlicht mit der Glut ihrer Gasfeuer und warnten die Schiffe, sich nicht zu weit in die seichten Gewässer vorzuwagen, damit die Korallenriffe aus blankem Stahl nicht ihre Rümpfe aufrissen und die Seefahrer nicht den Geschöpfen zum Fraß dienten, die sich in der Brandungsgischt verbargen und mit feuchten Augen zum Ufer schielten, wie um sich zu
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