Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
erweckte. In geduckter Haltung kroch Thanju auf die Öffnung zu und erkannte nach und nach immer mehr von dem Raum, der sich nach rechts auftat.
Ein weitläufiges Gemach, dessen einzige Lichtquelle die Decke aus Eis zu sein schien. Sie befanden sich bestimmt hundert Meter unter der Erde. Trotzdem gelangten durch die vielen Eisschichten Lichtreste bis hinunter. Assora musste eine Art Magie angewandt haben, um das auszulösen.
Geradeaus wuchs das Eis bis auf den Boden hinunter. Rechts entdeckte Ju vier Ketten, die in der hellblau schimmernden Decke verankert waren und schlaff nach unten hingen. Daneben folgte eine Feuerstelle, schon lang erkaltet. Es gab flache Zwischenwände aus gefrorenem Wasser, die den hinteren Teil abtrennten.
Vorsichtig trat er aus dem Gang hinaus und versuchte, jede Unruhe der Umgebung wahrzunehmen. Doch momentan regte sich nichts. Er schlich weiter nach rechts, passierte die Feuerstelle und erreichte die Trennwand.
Sind das Menschenknochen?, fragte Elín mit aufgeregter Stimme.
Ju hatte sie ebenfalls entdeckt, die Überreste von Assoras letzter Mahlzeit, nahe der Feuerstelle. Dass dies nur die Spitze des Eisbergs war, wollte er Elín nicht offenbaren.
Ja.
Igitt! Sie schüttelte sich hörbar.
Sei still!
Du hättest mich auch vorwarnen können!, schrie sie flüsternd, wobei es ihn amüsierte, dass sie trotz des tonlosen Gedankenaustauschs flüsterte.
Er ging weiter geradeaus und kniff die Lider zusammen, um möglichst wenig Licht auszusenden, spähte um die Ecke der Eiswand und glaubte seinen Augen nicht zu trauen.
Dort kniete jemand.
Im Dunkel des hinteren Bereichs kauerte eine menschliche Gestalt. Und plötzlich zuckten Jus Sinne, als wären sie erwacht.
Akkadia!
Es war kein Mensch, der dort vor dem großen Bett hockte. Es war ein Seelenband, ein weibliches.
Wer ist das?, fragte Elín, die neben ihn getreten war.
Ju wusste es nicht. Er musterte die Erscheinung hoch konzentriert, doch ein Großteil ihres Körpers wurde vom langen, dunklen Haar verborgen. Er konnte lediglich die Füße und einen Teil ihrer Schultern sehen. Für mehr fehlte genügend Licht.
Die gute Sehkraft, die ein Akkadier nachts besaß, ging mit der Verwandlung in Naham teilweise verloren, obwohl dies bei jedem anders war. Doch Jus Löwe agierte nun einmal tagsüber, weswegen seine Augen in dunkler Umgebung kaum besser funktionierten als menschliche.
Er bewegte sich träge auf den Körper zu und versuchte seine Gedanken zu ordnen, versuchte zu verstehen, warum eine Akkadia diesen Ort aufsuchen sollte. Und ganz langsam kroch in seinem Magen eine schwere Druckwelle nach oben.
Eine Erkenntnis, wer diese Person sein könnte.
Eine Befürchtung.
Eine Hoffnung?
War es möglich? Konnte sie doch zurückgekehrt sein? Jetzt, wo Thanju alles gefunden hatte, was ihm im Leben gefehlt hatte, tauchte sie wieder auf?
Diriri, flüsterte sein Verstand wie von selbst.
Elíns Tier blieb stehen und starrte ihn an, schaute geradeaus auf den Körper und wieder zurück. Was hast du gerade gesagt?
Die Akkadia vor ihnen bewegte sich ganz leicht, als würde sie Luft holen, nur ein einziges Mal in etlichen Minuten. Aber sie schien nicht zu bemerken, dass sie Besuch hatte.
Ju schlich weiter, ohne Elín zu antworten. Er war in diesem Moment so aufgewühlt, dass er ihre Worte kaum verstanden hatte. Noch etwa fünf Meter von der Akkadia entfernt wurde seine Sicht endlich besser. Er erkannte, dass das lange Haar der Fremden leicht gewellt war. Diriris hatte immer glatt nach unten gehangen. Die blanke Schulter zeigte eine fast krankhafte Blässe, ganz anders als Diriris braune Haut. Und auch die Farbe der Wellen entsprach nicht ihrem satten Kaffeeschwarz, sondern besaß einen rötlichen Schimmer.
Naham blieb stehen und fühlte einen Ruck durch den Körper fahren. Es handelte sich bei der Akkadia nicht um die verlorene Freundin. Thanju schwankte zwischen Enttäuschung und Erleichterung, konnte diese Gefühle weder verstehen noch verarbeiten. Er schaute zu Elín, zu seiner Solan. Und sie musterte ihn mit einem erschreckend traurigen Blick.
Ist schon gut!, beteuerte er. Alles in Ordnung. Ich habe mich getäuscht.
Sie sagte nichts, nickte nur.
Ju wandte sich der Fremden zu und schnaufte laut. Doch sie reagierte nicht. Er näherte sich ihr von rechts und konnte langsam mehr von ihr erkennen. Sie trug zerschlissene Kleider, die ihre Blöße kaum bedeckten. Das Haar war verfilzt, die Haut dreckig. Wie eine Statue kniete sie auf dem
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