Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
entscheide, wenn ich sie gesehen habe.“
„Natürlich“, bestätigte die Dienerin mit einem leichten Knicks und verschwand.
Jolina stieg aus der Wanne und wickelte sich ein übergroßes Handtuch um den dampfenden Körper. Ihre Kleidung wäre dem Zweck eines Abendessens mit Daman also nicht angemessen. Dass er ihre Zusage zu seinen Gunsten nutzte, hätte sie sich denken können.
Sie ging barfuß zu dem Spiegel hinüber, der zwischen zwei hohen Schränken an der Wand gegenüber dem Bett hing, und betrachtete ihr Abbild. Jolina musste lächeln. Wenn ihre Mutter sie so sehen könnte, nackt im Schloss des Satorenkönigs, würde sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Die Halbgöttin liebte ihre Mutter. Wie es nur eine Tochter konnte – mit Hochachtung, mit Dankbarkeit, von ganzem Herzen. Sie hatte Ishtar nie enttäuschen wollen, auch jetzt nicht. Aber sie würde es. Und das tat ihr leid.
Nachdem Noah ins Exil gegangen war, hatte sich ihre Mutter verändert. Als wäre etwas in ihr zerbrochen. Seither wusste Jolina nicht, ob die Göttin der Liebe tatsächliche Zuneigung für ihre Kinder empfand oder diese nur noch duldete. Ob sie es vielleicht bereute, jemals Nachwuchs empfangen zu haben.
Im Spiegelbild sah Jolina, wie Damans Zofe die Tür öffnete, und drehte sich herum. Die Dienerin legte mehrere dunkle Gewänder auf dem Bett ab und hielt ein schwarzes Korsett nach oben.
„Darf ich … Euch hinein helfen?“
Jolina schaute sie an und schüttelte freundlich aber bestimmt den Kopf. „Das brauche ich nicht. Hab Dank!“
Für ein paar Sekunden glitt der Blick der jungen Frau auf das Handtuch, als könnte sie hindurchsehen. Dann nickte sie und verließ das Zimmer mit hochrotem Kopf.
Jolina überquerte den hellen Steinboden bis zum Bett und breitete die verschiedenen Stoffe vor sich aus. Vom Schnitt her schienen sie sich zu ähneln. Doch die Muster waren vielfältig, eins schöner als das andere. Geschwungene Blumenranken, Lilienblüten und Baumwurzeln wirbelten über die Gewänder hinweg, dazwischen gestickte Bäche, fliegende Vögel, Schmetterlinge – alles so farbenfroh. Ihr fiel ein dunkelroter Stoff ins Auge. Jolina zog ihn hervor und hielt ihn hoch. Der schwere Samt schimmerte wie menschliches Blut. Die Nähte waren in Schwarz abgesetzt. Und die Stickereien variierten von Rot, über Gold, bis hin zu Weiß. Je nach Betrachtungswinkel. Eine perfekte Kombination ihrer Lieblingsfarben.
Die Halbgöttin nahm das Gewand über ihren Arm und ging hinter den mit Ornamenten verzierten Paravent, der seitlich zwischen Badetrog und Kamin stand, legte den Stoff darüber und ließ ihr Handtuch zu Boden gleiten. Ihre Haut glühte vom heißen Nass, einzelne Tropfen perlten hinab. Jolina löste die goldene Nadel aus ihrem Haar und schüttelte die feuchten Locken auf, nahm rechts und links ihrer Schläfen jeweils zwei Strähnen nach hinten und steckte sie locker im Nacken fest, um das Gesicht frei zu haben. Anschließend griff sie nach der blutfarbenen Robe, die sich oben ungewöhnlich weit öffnen ließ, stieg mit den Beinen hinein und zog den schweren Stoff hoch, schlüpfte in die Ärmel und blickte verwundert an sich hinab.
Ihre Brüste standen noch immer im Freien.
Das konnte unmöglich richtig sein.
Sie zerrte den Stoff nach vorn und fand viele einzelne Knöpfe, die mit Samt überzogen waren. Jolina fädelte einen nach dem anderen in das dazugehörige Loch, bis sie endeten, und sah an sich hinunter. Mit zusammengezogenen Augenbrauen ging sie zum Spiegel.
Die Halbgöttin starrte ihr Abbild an. Kein Wunder, dass Daman sie darin sehen wollte!
Der weite Saum des Gewandes floss wie träges Wasser über den Steinboden und verjüngte sich zusammen mit den schillernden Stickereien zu ihren Hüften hin. Die Knopfleiste begann kurz unter ihrer Scham und wanderte bis zum Bauchnabel hoch. Jolina drehte sich hin und her, doch man konnte wohl nicht hindurchsehen. Allerdings stand der Stoff darüber fürchterlich weit offen. Nur dank ihrer üppigen Brüste legte er sich relativ dicht an die Haut. Im falschen Winkel jedoch klaffte er auf und bot jedem Neugierigen einen fantastischen Ausblick.
Von wegen, sie trieb Spiele mit ihm. Wenn Daman wollte, dass sie so mit ihm zu Abend aß, dann würde er schon sehen, wem zuerst der Geduldsfaden riss. Und da hatte sie doch tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde ein schlechtes Gewissen gehabt! Unglaublich!
Das Klopfen an der Tür kam so plötzlich, dass Jolina
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