Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
angespannter Miene auf sich zukommen, gefolgt von einer trägen Wolke schwarzen Rauches.
„Du musst achtsamer werden“, tadelte er sie.
„Ich geb’ mir doch schon Mühe!“ Sie schaute verkniffen zu Boden und drehte das Schwert des Taryk in ihren Händen.
Der Tibeter stieß mit dem Finger gegen ihren Brustkorb. „Das reicht nicht.“ Er kam ganz nah an ihr Gesicht und musterte sie. „Höre gefälligst auf deine Instinkte!“
„Ja“, sagte sie gedehnt und wusste selbst genau, wo das Problem lag.
„Es ist Nacht. Du wirst dich nicht verwandeln“, griff er ihre Gedanken auf.
Elín schaute hoch und suchte in diesem harten Gesicht nach Verständnis. „Und wenn doch?“
Sein Blick wurde weicher. „Dann wird deine Wut nicht uns gelten, sondern den Feinden deiner Bestie.“
„Und wenn grad keine Feinde da sind?“
Er stieß den Atem aus. „Dann weiß ich, wo ich dich hinbringe.“ Sie wollte noch etwas sagen, doch er schnitt ihr das Wort ab. „Wenn du dich weiterhin dagegen wehrst, wirst du sterben. Und ich glaube nicht, dass du in Enûma mit mir festsitzen möchtest, nachdem du dich hast töten lassen.“
Der Akkadier kniff die Augen zusammen.
Und Elín sagte nichts mehr. Er ging an ihr vorbei und zog diesen berauschenden Duft seiner Wut hinter sich her – herb und würzig.
Roven und Selene setzten sich wieder in Bewegung. Elín betrachtete das schmale Schwert in ihrer Hand. Nicht ausbalanciert und mit etlichen Kerben versehen wirkte es wie eine mittelalterliche Bauernwaffe. Aber sie hatte es erobert, also würde sie es behalten. Nur zur Sicherheit.
„Du gehst vor!“, befahl Ju heiser.
Und sie tat es, diesmal ohne Widerstand.
Mit zügigen Schritten schlossen sie zu den anderen beiden auf und rannten weiter und immer tiefer in das Entwässerungssystem Reykjavíks hinein. Die Luft kühlte auf Minusgrade hinunter und erinnerte Elín daran, dass ihre Sachen durchnässt waren. Wenn das hier überstanden wäre, würde sie sich mit Ju in eine heiße Quelle verkriechen und so lang drin bleiben, bis ihre Haut aufgeweicht und faltig war. Normalerweise störte sie die Kälte nicht. Als Isländerin von Vorteil. Doch nasse Klamotten und finstere Tunnel gaben den Temperaturen einen unangenehmen Beigeschmack.
Die Akkadier passierten eine Leiter, an der Regenwasser der darüber liegenden Straße hinuntersickerte, und ließen sie links liegen. Dann endlich entdeckten sie einen Seitengang, dessen Gitter fünf Meter entfernt lag. Selene bückte sich leicht und schaute hinein. Doch Roven schob sich an ihr vorbei und verschwand als erster in dem niedrigen Kanal, gefolgt von Selene und Elín. Ju bildete den Schluss und musste sich, genau wie Roven, in gebeugter Haltung durch die Dunkelheit kämpfen.
Glitschige Feuchtigkeit belegte die Wände, an denen Elín sich abstützte. Wenn sie hier angegriffen würden, gäbe es ein totales Chaos. Unweigerlich schloss sie ihre Hand fester um den Griff des Schwertes und versuchte an den anderen vorbei irgendetwas in der Ferne zu erkennen.
Niemand gab einen Ton von sich. Nur ihre Schritte und ein fremdes Wasserrauschen hallten durch das Rohr und weiter vorn wider. Elín wollte vorschlagen, beim nächsten Familienausflug lieber einen Kletterwald zu besuchen, ließ es dann aber bleiben.
Plötzlich gab es ein nasses Aufklatschen. Sie blieb vor Schreck stehen. Selene aber ging weiter und sprang in einen Abgrund. Ein erneutes Wasserspritzen war zu hören. Dann erst erkannte Elín, dass vor ihnen ein großes Rückhaltebecken lag, soweit gefüllt, dass die zwei Akkadier bis zur Hüfte im Wasser verschwanden. Neuer Regen plätscherte aus allen Richtungen in den weitläufigen Kanal hinein. Und als Ju von hinten näher kam, ließ sich Elín die zwei Meter nach unten fallen, mitten hinein ins kalte Nass, und bereute es sogleich. Eisig und schwer durchzog das Wasser ihre Schuhe und die Jeans. Neben ihr kam Ju mit einem lauten Platschen auf und verdrängte dabei so viel Flüssigkeit, dass ihr ganzes Gesicht anschließend triefte.
Sie blinzelte ihn wütend an und fror plötzlich so gar nicht mehr. Hitze schoss ihr durch den Körper und ließ Elíns Augen erneut aufleuchten. Und als er sich ein leichtes Grinsen gestattete, war es um ihre Vernunft geschehen. Sie holte mit den Armen aus, zog sie durchs Wasser und schickte ihm einen ordentlichen Schwall über den Kopf.
Thanjus Kiefer mahlte. Er schaute durch nasse Wimpern auf sie hinab und pustete das Wasser von seiner Lippe. „Geht es
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