Lichtraum: Roman (German Edition)
Ich …«
»Vergessen Sie’s«, schnitt Corso ihm das Wort ab. »Das ist
unwichtig. Als ich Ihnen sagte, Sie sollten sich vom Rest der Crew fernhalten, wusste ich nicht, dass Sie früher eine Beziehung mit ihr hatten.«
»Ist sie …?«
»Sie hat es nicht geschafft, Ty. Es tut mir leid.«
Ty nickte in seinem Helm, seine Kehle schnürte sich plötzlich zusammen. »Ich verstehe. Es gab wohl niemals eine reelle Chance, dass sie wieder genesen würde, oder?«
»Nein«, gab Corso zu. »Trotzdem mussten wir alles Menschenmögliche versuchen.«
Ty lauschte seinen eigenen Atemzügen, die sich in seinem Helm laut und nah anhörten. Corso machte eine Bewegung, als wolle er sich abwenden.
»Dann wird es eine Beisetzungsfeier geben?«, fragte Ty.
Corso hielt inne und blickte sich zu ihm um. »Nein. Jedenfalls jetzt noch nicht.«
»Warum nicht?«, platzte Ty schockiert heraus.
»Momentan ist nicht der richtige Zeitpunkt, um noch mehr von unseren Toten zu begraben. Dazu sind wir zu nah am Ziel. Das Letzte, was die anderen brauchen, ist eine Erinnerung, wie gefährlich dieser Job ist. Es besteht die ganz konkrete Möglichkeit, dass keiner von uns lebend zurückkommt.«
»Aber Sie müssen eine Zeremonie abhalten!«, schrie Ty. »Für Olivarri gab es doch auch eine!«
»Das war etwas anderes!«, schnauzte Corso zurück. »Er wurde ermordet. Nancys Tod ist eine unmittelbare Folge unserer Mission. Wir werden ihr einen würdigen Abschied bereiten, aber erst, wenn das hier vorbei ist.«
»Und die anderen denken genauso?«
»Ich bin nicht hier, um über diese Frage mit Ihnen zu diskutieren. Ich stelle lediglich die Fakten fest.«
»Schön, dass Sie mich informieren«, erwiderte Ty sarkastisch.
»Sie hatte keine Ahnung, wer Sie in Wirklichkeit sind, oder?«
»Irgendwie kam das Thema nie zur Sprache«, versetzte er bissig.
»Ty, haben Sie niemals darüber nachgedacht, was Sie ihr antaten, indem Sie sie so täuschten? Glaubten Sie wirklich, ich hätte Ihnen den Umgang mit der Crew verboten, weil ich Sie bestrafen wollte? Ich habe Menschen hintergangen, die bereit waren, für mich und für diese Mission ihr Leben aufs Spiel zu setzen, indem ich ihnen die Wahrheit über Sie verschwieg. Ich wollte Sie von den anderen fernhalten, um diesen Betrug nicht noch schlimmer zu machen, als er ohnehin schon ist.«
»Ich dachte daran, es ihr zu erzählen«, gestand Ty, »konnte aber den Gedanken nicht ertragen, dass sie mich dann hassen würde.«
Corso gluckste in sich hinein. »Wenn Sie weiter so reden, unterstelle ich Ihnen eines Tages noch so was wie Menschlichkeit.«
Wieder an Bord, schlief Ty zehn Stunden lang durch, ehe er mit schmerzenden Muskeln aufwachte; seine Haut juckte fürchterlich von den Druckgeschwüren, die ihm das häufige Tragen des Raumanzugs beschert hatten. Er schleppte sich in die winzige Hygienezelle des Labors, drehte einen Kran auf und sah zu, wie sich am Ende des Hahns ein Ball aus Wasser formte. Nachdem die Kugel ungefähr die Größe einer Faust erreicht hatte, zog er sie vom Kran ab, stieß sein Gesicht hinein und schnappte nach Luft, als die eisige Kälte auf seine Haut traf. Er fühlte sich, als hätte er überhaupt nicht geschlafen.
Es wurde Zeit, sich anzusehen, was die im Labor verteilten Kameras aufgenommen hatten. Doch zuerst wollte er sich einen Drink beschaffen.
Ty konnte an den Fingern einer Hand abzählen, wie oft er Alkohol zu sich genommen hatte, aber ein Drang, geboren aus Erschöpfung und Kummer, obendrein die Angst, was er entdecken mochte, wenn er die Videobänder prüfte, machten es ihm
leichter, mit seiner Gewohnheit zu brechen und diese lebenslange Abstinenz aufzugeben. Er begab sich in ein leeres, hallendes Casino, das sich in der Nähe des Laborkomplexes befand, und frühstückte gefriergetrocknete Cracker und künstlichen Joghurt. Danach stromerte er durch die Küchenzone, bis er die Bar fand, die ihm bereits früher aufgefallen war, und griff aufs Geratewohl ein paar Spritzflaschen mit Wein von unbestimmter Sorte und Qualität heraus.
An einer Flasche brach er den Plastikverschluss auf, die übrigen verstaute er in einer Schultertasche. Er trank ein paar Schluck aus der offenen Spritzflasche, wobei er darauf achtete, den Daumen auf die Öffnung zu drücken, damit der Inhalt nicht in der Schwerelosigkeit herausquoll. Als er den Wein schmeckte, verzog er das Gesicht, aber er trank weiter, bis sich ein angenehm leichtes Gefühl in seinen müden Gliedmaßen und im Kopf
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