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Lichtspruch nach Tau

Lichtspruch nach Tau

Titel: Lichtspruch nach Tau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
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der Besinnung.
    Er fand die Maschine am Landeplatz vor, wie er sie verlassen hatte.
Erst nach dem Frühstück fiel ihm auf, daß er seine Atemmaske nicht bei sich hatte. Sie konnte sich nur in der Kammer befinden, denn er hatte sie als Kopfkissen benutzt.
    Eine reichliche Stunde lang dachte er sich Fragen aus, mit denen er Narjotaah zu überlisten beabsichtigte. Er suchte nach Formulierungen, die auch ein Schweigen als eindeutige Antwort gelten ließen. Noch während des Rückwegs galt seine ganze Konzentration dem Dialog mit der Maschine. Er berauschte sich an dem Gefühl, Wahrheit zu finden. Der Jäger verfolgte das Wild. Er hatte es gestellt und war erregt wie ein Jagdeleve vor dem ersten Schuß. Die Treppen hallten unter seinem Schritt, Echos täuschten ihm die Schritte eines Doppelgängers vor. Er lachte, und das Lachen scholl zurück. Welch ein Glück! War nicht all das, was er bisher dafür gehalten hatte, nur ein blasser Abklatsch, ein Luftzug, während ihn jetzt ein Sturm umtoste? An dem Toten schritt er still vorbei.
    In einer Ecke der Kammer lag die Tasche mit der Maske. Er nahm sie und hängte sie um.
Narjotaah begrüßte er mit einem stummen guten Morgen, und er erhielt Antwort. Das schien ihm ein positives Zeichen. Er blickte sich frohgelaunt im Raum um.
In der roten Schale im Fußboden lag eine Atemmaske. Seine Hand tastete zur Seite. Die gleiche Form, der gleiche Stoff. Was war das für eine Täuschung? Er trat an den Rand. Vorsichtig raffte er die Tasche auf und wog sie in der Hand. Die Verschlüsse klickten. Die Seriennummern stimmten bis in die letzte Ziffer überein. Ungläubig versuchte er Unterschiede festzustellen, was in seiner Einbildung dem Vorgang etwas von seiner Unglaublichkeit nehmen sollte. Das Duplikat glänzte fehlerlos und neu, ohne Schramme, ohne Fleck. Wem gehörte die Maske?
»Narjotaah!«
»Ich höre.«
    Plötzlich versetzte die tonlose Stimme ihn in Angst. Was wollte er sie fragen? Die Antwort lag in seiner Hand. Alle Antworten. Sie waren umgekommen an ihrem Wahn nach Vollkommenheit. War das nicht absurd? Widersprach das nicht allem, was man ihn je lehrte zu glauben?
    »Geh«, flüsterte Narjotaah tief in seinem Inneren, »dein guter Bruder erwartet dich.«
Klang wieder Spott in der Stimme? Er brauchte Narjotaah nicht mehr zu fragen. Alles, was er wissen wollte, würde er nur zusammen mit seinem Doppelgänger erfahren, seinem Bruder.
Allein fühlte er sich hilflos.
»Narjotaah, ich bin zweifach vorhanden.«
»Nein.«
»Ich habe einen Zwilling!«
    »Er ist dein guter Bruder.«
»Mein Zwilling!«
»Er ist besser als du.«
»Was heißt das?«
    »Er kennt keinen Zweifel. Er entscheidet im Augenblick des Erkennens. Seine Maxime ist: Leben. Er denkt Tausende von Jahren voraus.«
    »Sind sie deshalb ausgestorben?«
»Ja.«
»Ich glaube dir nicht.«
»Du bist naiv. Fürchte deinen Bruder um so mehr.« »Wo ist er?«
»Wo du ihn verlassen hast.«
Redcroft dachte an die Schritte auf dem Platz.
In der vorletzten der unterirdischen Etagen mußte er verschnaufen. Schweiß näßte seinen Rücken. Die Kehle schmerzte vor Trockenheit. Die ungebärdige Sehnsucht, sich selbst gegenüberzustehen, trieb ihn an. Was schwatzte diese Maschine? Zusammen waren sie unschlagbar. Sie würden Narjotaah zwingen, die Geschichte zu rekonstruieren. Sie würden zur Erde zurückkehren, und ihre Erfahrung würde die der Menschheit sein. Narjotaah mußte vernichtet werden.
    Herrgott, sagte sich Redcroft, ich bade mich in heroischem Glanz, dabei ist nicht einmal sicher, wie wir die nächste Nacht überstehen. Vorerst reicht die Kammer nur für einen. Wie wird das später werden? Seine Vorstellung trug Claires Züge, die Formen ihres Körpers, ihren Geruch nach herber, brauner Nelkenseife. Wenn es ein Zurück gab, für wen? Irgendwie würden sie sich an ihre Doppelexistenz gewöhnen. Claire war für ihn verloren. Vielleicht hatte der andere mehr Glück. Wenn er sie jemandem gönnte, dann ihm. Würde er ihr begreiflich machen können, welch ein Abenteuer sie erlebt hatten?
    Sich selbst gegenüberzutreten, wer hätte diesen Traum nicht schon einmal geträumt? Nicht mit Grauen erfüllte ihn das Wunderbare, das Einmalige seines Geschicks. Die Minuten vor der Begegnung erfüllte ihn eine Faszination, wie sie vielleicht nur der Künstler kennt, der, aus der Trance des Schaffens aufwachend, das fertige Werk betrachtet. Alle Fragen, alle Antworten verknüpfen sich mit ihm. Er wollte nicht mehr als sich selber sehen. Er

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