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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Quittung zu kommen, brauchte sie einen akzeptablen Bewegungsspielraum.

    Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Noch fast eine Stunde bis zu ihrem Termin. Korchows Kontaktmann würde natürlich auch zu früh eintreffen. Sie hatte die feste Absicht, noch vor ihm da zu sein.
    Die Bar hieß angeblich Der Stollen , aber das einzige Schild, das Li im Fenster sah, war eine flackernde, mit Fliegendreck verklebte Neonreklame aus Leuchtbuchstaben, die wohl das Wort SPIELAUTOMATEN ergeben hätten, wenn nicht die Hälfte der Buchstaben ausgefallen wäre. Trotzdem, dies war das Lokal, das Korchow ihr beschrieben hatte: eine schmale Hausfassade, die von einem Baugerüst verdeckt wurde, der Bareingang zwischen einer Peepshow und einem KomSat-Zahlterminal, Betrunkene, die die wackligen Treppen zum Bordell im zweiten Stock hochstiegen. Li ging an der Bar vorbei, spazierte einen halben Block die Straße hinunter, umrundete einen ekligen Schlammtümpel und trat unter die notdürftig ausgebesserte Arkade, die die Läden auf der anderen Straßenseite überschattete.
    Eine gelöste Wandplatte knirschte unter ihren Füßen. Kondenswasser tropfte von verschimmelten Stützbalken und sammelte sich in Pfützen auf dem Gehweg. Sie drückte sich in einen dunklen Hauseingang, schüttelte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an, wobei sie eine hohle Hand vor die Glut hielt.
    Korchows Kontaktmann erschien zwanzig Minuten vor der vereinbarten Zeit. Er war nicht zu übersehen: die Geburtslabors der Syndikate pflegten eine idealisierte genetische Norm aus der Zeit vor der Migration, und Li bezweifelte, dass seit den Aufständen jemand, der so menschenähnlich war, die Schwelle des Stollens überschritten hatte.
    Sie fluchte innerlich über Korchow, weil er ein so übereifriger Amateur war. Dann sah sie vor ihrem inneren Auge
sein kühl kalkulierendes Profigesicht; was immer er war, ein Amateur war er nicht. Nein, er war so versessen auf Sharifis Daten, dass er dafür die Tarnung eines A-Klasse-Agenten aufs Spiel setzte. Und es war ihm herzlich gleichgültig, ob man Li erwischte. Vielleicht wollte er es sogar … dann wäre sie aus dem Weg, wenn er hatte, was er von ihr wollte. Sie ließ ihre Zigarette fallen und hörte sie im stehenden Wasser zischen, als sie aus den Schatten trat.
    Im Innern war Der Stollen weniger ein zusammenhängendes Lokal als eine planlose Aneinanderreihung von locker miteinander verbundenen Fluren. Li schlängelte sich durch das Nadelöhr am Eingang und stolperte über eine unauffällige Stufe in den Teil des Lokals, der von Stammgästen vermutlich als das Empfangszimmer bezeichnet wurde.
    Korchows Kontaktmann saß auf halbem Wege an der Theke und hockte mit düsterer Miene über einem Bier. Er blickte auf, als Li eintrat, und ihre Blicke trafen sich im Spiegel hinter der Bar. Man hatte etwas mit seinem Gesicht angestellt – die lange, schmale Nase war gebrochen, und die Linien seiner Wangen- und Kieferknochen wirkten etwas verwackelt –, aber selbst das hatte der unnatürlichen Perfektion seiner Züge nichts anhaben können. Er hätte Bellas Bruder sein können.
    Li ging an ihm vorbei und nahm am anderen Ende der Theke Platz, hinten im schmierigen Halbschatten unter den billigen Wandleuchten. Der Barkeeper nahm ihre Bestellung ohne ein Lächeln entgegen, und das Bier, das er brachte, schmeckte schal und nach Hefe. Während sie trank, ließ sie den Blick durch den schmalen Raum wandern und stellte das Glas zurück auf die Theke, die klebrig war vom verschütteten Bier des Vortags. Sie hatte ihr zweites Bier halb getrunken, als Korchows Kontaktmann aufstand und an ihr vorbei ins Hinterzimmer ging.

    »Wo ist die Toilette?«, fragte Li anderthalb Minuten später.
    Der Barkeeper zeigte nach hinten und brummte etwas, das nach »links« klang.
    Im Hinterzimmer standen Tische, die meisten davon leer. Li zwängte sich zwischen den Tischen hindurch und schob sich durch eine schmale Tür in einen düsteren Korridor, der zur Toilette und zum Notausgang führte. Im Winkel zwischen einer Wand und der Decke blinkte eine Überwachungskamera, aber wie Korchow versprochen hatte, befand sich das kleine Eckregal, das darunter an die Wand geschraubt war, außerhalb ihres Aufnahmewinkels.
    Korchows Kontaktmann kam aus der Toilette, einen Mantel über den Arm gelegt. Er zwängte sich zwischen ihr und dem Regal vorbei und murmelte eine Entschuldigung. Sie ließ ihn vorbei. Als sie mit den Fingern über das Regel strich, berührte sie den

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