Liebe ahoi
übrigens etwas, was Menschen im echten Leben tun. Stell dir vor, es gibt Leute, die sich mit anderen Leuten treffen und sich von Angesicht zu Angesicht unterhalten, anstatt vor dem Computer zu sitzen und mit sechshundertfünfzig Personen zu kommunizieren, von denen sie die meisten kaum kennen.«
»O Mum, du bist echt hinterher.«
Hinterher? Was bedeutete das denn, bitte schön? Beth hatte das ungute Gefühl, dass diese Unterhaltung zu nichts führte.
Sie zog sich schwarze Sportschuhe an und ging in Richtung Aufzug. Ein junges Paar, das sich ganz offensichtlich in den Flitterwochen befand, stieg ebenfalls zu. Die große Blondine trug ein atemberaubendes silbernes Seidenkleid, der Mann einen perfekt sitzenden Anzug mit weißem Hemd, das am Kragen offen stand. Die Eheringe funkelten, und es fiel den beiden offenbar schwer, die Hände voneinander zu lassen. Wie schön für sie! Beth konnte kaum glauben, dass sie auch einmal so gewesen war. Wie lange war das jetzt her? Sie rechnete kurz nach. Sie hatte David vor fast dreißig Jahren geheiratet. Verdammt, das war eine Ewigkeit – und seitdem hatte sie den Kitzel des Frischverliebtseins nicht mehr erlebt. Sie hatte ein paar Dates gehabt, ein paar oberflächliche Beziehungen, sogar mal eine Affäre mit einem Klempner, der wegen eines Rohrbruchs bei ihr gewesen war, aber mit Liebe hatte das alles nichts zu tun gehabt.
Das junge Glück stieg auf Deck 10 aus, und sie fuhr allein weiter bis 14. Hier oben hatte sie am Nachmittag die Walking- und Joggingstrecke, die einmal um das gesamte Schiff herumführte, entdeckt. Ein strammer Spaziergang war genau das Richtige nach dem vielen Essen.
Als Beth ins Freie kam, war sie froh, dass sie ein Sweatshirt übergezogen hatte. Die Nachtluft war kühl. Sie wandte sich nach links, warf einen Blick über die Reling auf das Deck unter ihr und sah genau auf eine Reihe Liegen, die um den Pool herumstanden. Auf vielen von ihnen lagen Paare, schauten in den Sternenhimmel, unterhielten sich flüsternd, manche schliefen.
Das sah so romantisch aus! Irgendwie schien das Schiff von Liebespaaren nur so zu wimmeln!
Beth ging weiter, hielt das Gesicht in den Fahrwind und spürte, wie sie ruhiger wurde. Das Leben war schön, so viel war klar. Aber in letzter Zeit dachte sie häufiger darüber nach, dass es noch schöner wäre, wenn sie jemanden hätte, mit dem sie es teilen könnte. Du meine Güte, was für Fantasien! Was war nur mit ihr los? Würde sie als Nächstes anfangen, kitschige Liebesromane zu lesen und Dating-Seiten im Internet zu studieren?
»Hey, worüber lächelst du gerade?«
Ihr Schrei verlor sich im Wind. »David! Hast du mich erschreckt! Das ist in meinem Alter nicht ganz ungefährlich«, scherzte sie. »Was machst du denn hier oben?«
Im selben Moment fiel ihr Blick auf seine Kleidung, und ihr wurde klar, dass das eine ziemlich blöde Frage war.
»Ich war im Fitnessstudio und wollte jetzt noch ein paar Runden laufen.« Er verlangsamte seinen Schritt und passte sich ihrem Tempo an.
»Und das am ersten Abend einer Kreuzfahrt? Deiner Kreuzfahrt? In Begleitung deiner hübschen jungen Frau? Da gehst du abends ins Fitnessstudio? Ich weiß nicht, ob ich deine Disziplin bewundern oder an deinem Verstand zweifeln soll.«
»Das hat was mit meinem Alter zu tun«, antwortete er und ging auf ihr Gefrotzel ein. »Ich muss in Bewegung bleiben, damit ich mit der hübschen jungen Frau weiter mithalten kann.«
Beth lachte. »Okay, eins zu null für dich. Ich bewundere dich jedenfalls.«
Es war schon lange her, seit sie sich so unbefangen unterhalten hatten. Sie musste zugeben, dass David immer noch verdammt gut aussah. Er pflegte sich, und seine Augen funkelten beim Lächeln noch genau wie früher. Sie konnte sich klar und deutlich daran erinnern, wie er sie zum ersten Mal geküsst hatte. Wie viele Schmetterlinge hatte sie da im Bauch gehabt.
»Ich freue mich, dass du mitgekommen bist, Beth.« Jetzt klang er etwas ernster.
»Ich freu mich auch, dass ich hier bin.« Sie meinte es so – das wurde ihr im selben Moment klar.
Eine Pause entstand, und beide suchten etwas verlegen nach Worten.
Nach einiger Zeit räusperte David sich. »Wir sehen uns morgen, Beth. Gute Nacht. Schlaf gut.«
»Du auch«, antwortete sie. Dann sah sie zu, wie er wieder in den Laufschritt verfiel und sich entfernte.
Erst als er in der Nacht verschwunden war, fiel ihr ein, dass sie soeben die perfekte Gelegenheit verpasst hatte, um ihn zu fragen, wieso er sie
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