Liebe auf Arabisch
Krieg«, fuhr Salma fort.
»Das ist doch nicht möglich!«
»Die Familie ihres Mannes dichtete ihr eine psychische Krankheit an und ließ sie einweisen.«
»Und das Dienstmädchen?«
»Wurde in eine Hütte gesperrt.«
»Die Armen!«
Zu diesem Zeitpunkt war ich zwar noch weit von meiner militanten Ader entfernt, doch es gab Momente, in denen ich mir nichts sehnlicher wünschte, als gegen die haltlose Ungerechtigkeit, unter der so viele meiner Geschlechtsgenossinnen litten, in den Krieg zu ziehen. Ich wollte die kleine Inderin aus ihrem Verlies befreien, ihren Vergewaltiger ins Gefängnis stecken und seine Schwiegermutter gleich für Mittäterschaft drankriegen, ich wollte all diesen jungen Frauen zu Hilfe kommen, denen man ihr Recht auf Gegenwehr, auf Gerechtigkeit, auf ihr eigenes Leben verweigerte.
Tja! Zu diesem Zeitpunkt bemühte ich mich noch wie meine Mutter um Eintracht und Friedfertigkeit, und so sagte ich mir, dass ich nicht Zorro, keine Rächerin der Entrechteten war. Der Beruf der Anwältin gehörte zu meinen begrabenen Träumen. Schließlich verdankte ich den Saudis meinen Lebensunterhalt und es stand mir nicht zu, über ihr Land zu urteilen.
Die Stimme des Muezzin erklang, und die Frauen erhoben sich, um ihren Pflichten nachzukommen.
»Los, komm mit, du Ungläubige!«
»Ich kann nicht beten.«
»Wir bringen es dir bei.«
»Nächstes Mal, Inschallah!«
Es war immer dasselbe. Ich lehnte es ab, mit ihnen zu beten, sie erhoben sich und ich sah ihnen zu. Doch ich fragte mich: Was bringen ihnen ihre Gebete, wenn sie keinen Finger rühren, um dem Leid, das sie umgibt, ein Ende zu machen? Wozu dieses rigide Ritual, als wäre Gott ein knickriger Buchhalter, dabei war ich mir sicher,
dass Allah es hundertmal lieber gesehen hätte, dass sie den Schwachen zu Hilfe eilten. Warum diese Hingabe und Konstanz in der Ausübung einer Religion, von der sie gewisse Auslegungen infrage stellten und kritisierten? Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich persönlich bete nicht.
Joumana setzte sich neben mich und flüsterte, als habe sie meine Gedanken gelesen:
»Unsere Kniebeugen werden uns nicht retten. Und wir wissen auch, dass die Männer die Religiosität der Frauen noch nie ernst genommen haben. In ihren Augen mangelt es uns an Vernunft und Glauben. Und unsere Praktiken tun sie als körperliche Ertüchtigung ab.«
Ich gestand:
»Allah möge mir verzeihen. Ich habe in Arabien das volle Ausmaß der Ungerechtigkeit gegenüber Frauen kennengelernt. Eine fromme Gläubige hat dieses Land nicht aus mir gemacht.«
Nur Iqbal und Joumana interessierten sich für die Frage nach ihren Lebensbedingungen. Doch das junge Mädchen verbrachte viel Zeit in der Uni und ich sah sie selten. Ich hatte allerdings mitbekommen, dass sie sich durch ihr erfahrenes Unglück sehr verändert hatte. Innerhalb von wenigen Monaten war über das ehemals verliebte Mädchen ein für ihr Alter ungewöhnlicher Ernst gekommen. Die Reise und das damit verbundene Schicksal hatten sie reifen lassen und gleichzeitig befreit. Vor allem jedoch hatten sie dafür gesorgt, dass sie nichts mehr mit Männern zu tun haben wollte. Jedes Mal, wenn wir auf Letztere zu sprechen kamen, machte sie auf dem Absatz kehrt.
Eines Tages kam sie mit einem Piercing in der Nase nach Hause. Dann trug sie plötzlich ein Punk-Shirt unter
ihrer Abaja und eröffnete uns ihre Idee, im Untergrund eine Rockband für Frauen zu gründen. Auch sie hatte nun aufgehört zu beten. Ihren Nachbarn erwähnte sie mit keiner Silbe mehr, als hätte er sich nach ihrer Entjungferung in Luft aufgelöst.
Sie hatte sich Joumana weiter genähert, lauschte ihren Diskursen, bewunderte ihre Anflüge von Rebellion und wurde jedes Mal rot, wenn ihre Tante über die Männer herzog, die sie impotent oder schwachsinnig nannte.
Iqbal hatte das Surfen im Internet gegen das Lesen von Zeitschriften und Büchern eingetauscht und bekam nie genug von Frauenzeitschriften, die sich mit den Lebensbedingungen von Frauen in der ganzen Welt beschäftigten und bat jeden, ihr von einer Reise neue Bücher zu diesem Thema mitzubringen.
»Du wirst noch genauso pedantisch und langweilig wie deine Tante!«, grummelte Farah.
Beim letzten Mal erzählte sie uns, sie habe sich in eine Übersetzung von Freud vertieft. Farah, die gerade irgendwelche Schweinereien zum Besten geben wollte, bat sie:
»Kannst du uns bitte allein lassen?«
Iqbal wusste genau, dass eine solche Aufforderung bedeutete, dass wir ein
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