Liebe auf den ersten Klick
nach Luft. Ich springe ein. Nein, wurden sie nicht.
»Ich will die Dinger zu Weihnachten im Laden haben, also los, Viv, besorgen Sie mir die Kostenkalkulation.« Sie sieht mich an und reißt dramatisch die Augen auf, ehe sie sich wieder an Christie wendet. »Gute Arbeit, junge Dame.«
Christie läuft rot an und sinkt erleichtert auf ihrem Stuhl zurück.
Miss Boje wendet sich an Schnuti. »Das ist eine erstklassige PR-Gelegenheit. Wir sollten zusehen, dass wir das in der Presse unterbringen, à la ›Spritzige Weihnachten mit B & W‹ oder so etwas in der Art.«
Schnuti nickt und kritzelt eifrig. Als sie den Kopf hebt, fange ich ihren Blick auf, doch sie sieht schnell weg.
Wir machen weiter, ein Produkt nach dem anderen. Die Schals sind dabei, die Ethno-Perlenketten hingegen kommen in die Sommerkampagne. Die beiden gehen sämtliche Zahlen im Detail durch, nehmen jede Gewinnmarge ganz genau unter die Lupe und löchern uns mit Fragen über die Lieferanten. Sie wollen unbedingt die Kosten drücken und wissen, wie viel noch herauszuholen ist, wenn wir größere Mengen abnehmen oder bei Lieferanten mit niedrigeren arbeitsethischen Standards bestellen. Um sechs ordern sie Pizza. Um sieben liegen sie sich immer noch wegen der Kosten für die Verpackung der Schokofondues in den Haaren. Sie drangsalieren und löchern mich mit ihren Fragen nach Details. Dabei muss ich doch gehen. Aber wie soll ich das anstellen? Ich stelle mir vor, wie Rob in diesem Augenblick den Pub betritt und einen Platz sucht. Wie lange wird er wohl auf mich warten? Sie wollen wissen, ob es in China einen Lieferanten für Karo- oder Tweedstoffe gibt. Ich verspreche, es herauszufinden, und schlage vor, ein weiteres Meeting anzuberaumen, bei dem ich alle Informationen liefern kann. Sie ignorieren mich und setzen ihr Bombardement fort. Ich notiere mir alles und sehe zu, wie die Zeiger meiner Uhr immer weiterrücken, während sich mein Herz mit jeder Sekunde weiter verkrampft. Noch stehen mehrere Artikel zur Diskussion, und bisher haben wir für jeden mindestens eine halbe Stunde gebraucht.
Ich sehe zur Tür und überlege, einfach abzuhauen, als Miss Boje sich auf ihrem Stuhl streckt. Ich erhasche einen Blick auf den dunklen Schatten ihrer Achselstoppeln und die teure schwarze Spitze, die durch den Ärmelausschnitt ihres zeltartigen Kleids blitzt.
»Okay, Leute. Es ist schon spät. Außerdem ist Freitag. Lasst uns in den Pub gehen und eine Flasche Wein köpfen.«
Christie, die seit ihrem Tanga-Triumph auf einer Woge der Glückseligkeit schwimmt, klatscht begeistert in die Hände. »Au ja!« Sie sieht mich aufgeregt an.
»Ich kann leider nicht. Ich bin verabredet.« Ich stehe auf und nehme meine Sachen.
»Wie schade!«, trompetet Miss Boje.
Schnuti geht mit mir zu Tür und hält sie auf. »Man sollte meinen, dass es sich in Zeiten wie diesen auszahlt, ein Teamplayer zu sein, Viv. Aber schönen Abend noch«, murmelt sie mit einem enttäuschten Lächeln.
»Schönes Wochenende«, gebe ich zurück, als sie sich zum Gehen wendet und die Tür hinter mir ins Schloss fallen lässt. Aber ich habe jetzt keine Zeit, um über ihre Befindlichkeiten nachzudenken. Ich stürze zum Aufzug und stecke unterwegs all die Haarsträhnen fest, die sich gelöst haben.
Das Shy Horse ist ein Traditionspub. Flankiert von trendigen Cocktailbars und minimalistischen Restaurants, verströmt es mit seinem warmen Licht hinter Bleiglasfenstern einen heimeligen Charme. Inzwischen haben sich auf dem Weg quer durch die Stadt auch noch die restlichen Haarnadeln gelöst. Ich ziehe sie im Gehen heraus in der Hoffnung, dass meine Frisur als avantgardistischer Ponyschnitt durchgeht. Vor dem Fenster bleibe ich einen Moment stehen und sehe eine Gruppe Mädchen in halterlosen Tops und Stilettos an der Bar stehen, vereinzelte Pärchen, die es sich in den Ecken gemütlich gemacht haben, und ein paar alte Stammgäste auf Barhockern. Dann macht mein Herz ein Satz: Da ist er. Er sitzt in einer Nische und liest Zeitung. Eine Gesichtshälfte ist in warmes Licht getaucht, was sein fein geschnittenes Profil perfekt zur Geltung bringt. Er trägt einen hellgrauen Anzug mit einer babyblauen Seidenkrawatte dazu. Plötzlich komme ich mir unzulänglich vor. Ich streiche mein Kleid glatt und schiebe mir ein paar widerspenstige Strähnen hinters Ohr, ehe ich tief Luft hole und im Geiste Christina Aguilera singe. » I am beautiful «, intoniere ich stumm und öffne die Tür.
Stimmengewirr und Gelächter
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