Liebe auf den letzten Blick
Kinder sind noch zu klein, um sie allein zu lassen.«
Für mich klingt das, als sei er im Streit weggerannt.
»Mama!« Luis stürmt in die Küche. »Irma hat sooo viele Enten.« Er hält eine gelb-schwarz-gestreift Holzente in der Hand.
»Du hast doch schon eine Janosch-Ente«, erwidert Frau Stein, als fürchte sie, ihr Sohn habe das Spielzeug gemopst.
»Ich hab sie ihm geschenkt«, erklärt Irma. »Luis besitzt jetzt Tigerenten-Zwillinge, nicht wahr, kleiner Mann?«
»Zwingelle«, bestätigt Luis.
Für diesen niedlichen Wortverdreher schneidet ihm Gustl ein extra großes Stück Schokokuchen ab.
Bei Luis’ Anblick überfällt mich wieder mal das Verlangen nach eigenen Kindern. Eine Sehnsucht, die sich nie erfüllen wird. Erstens kriegen Frauen in der Menopause keine Kinder, und zweitens? Über fünfzig gibt es kein Zweitens! In meiner letzten Beziehung habe ich noch gehofft, dass wir eine Familie gründen würden. Doch es ist nichts weiter als ein Schnellkochtopf übriggeblieben, den mir mein Ex zu Weihnachten geschenkt hat. Nur, weil ich mein Geld nicht sinnlos verprasse, hat dieser Schuft geglaubt, ein Energiespartopf würde mich glücklich machen.
Luis schiebt den leeren Teller zur Seite und reibt sich die Augen. »Mama.«
»Du bist müde, ja?«
Statt zu antworten, legt er seinen Arm auf den Tisch, lässt den Kopf drauf sinken und schließt die Augen. Frau Stein entschuldigt sich und bedauert, nicht länger bleiben zu können.
»Ach was, Sie sind doch eben erst gekommen«, winkt Irmaab und schlägt vor, den Kleinen einfach in ihr Zimmer zu den Enten zu legen. »Auf
ein
Glas müssen Sie bleiben.«
Wenig später schlafen Luis und das Baby, bewacht von einer Elektronanny. Frau Stein hat ihr geradezu galaktisch modernes Babyphone aus ihrer Wohnung geholt. Mittels Nachtsichtkamera funkt es Überwachungsbilder in die Küche und lässt die Mama ohne schlechtes Gewissen feiern.
Wir stoßen auf gute Nachbarschaft an. Nach einer Weile entspannt sich unsere junge Nachbarin und wir bieten ihr das Du an.
Schließlich beginnt Sophie stockend von ihren Problemen zu berichten. »Torsten verschwindet ständig in die Staatsbibliothek … um für seinen Magister zu arbeiten … Nicht mal am Abend oder am Wochenende hat er Zeit für seine Familie.«
»Vielleicht möchte er sein Studium so schnell wie möglich beenden«, versuche ich zu vermitteln.
Sophie hebt die Brauen. »Zehn Jahre Studium?«, fragt sie spöttisch. »Die Chance hat er längst verpasst.«
»Ach, Männer«, schnauft Irma. »Drücken sich einfach gern vor der Verantwortung.«
»Stimmt doch gar nicht«, protestiert Gustl energisch. »Ich stehe lieber für euch am Herd, statt meine Nase in ein Buch zu stecken.«
Amelie streicht ihm liebevoll über die Halbglatze. »Du bist ja auch die berühmte Ausnahme von der Regel, mein Gustilein.«
Mein Gustilein!?
Bahnt sich da etwa was an? Erst die Spinne am Morgen, vorhin saß sie auf seinem Schoß, und jetzt gibt sie ihm schon Kosenamen. Oder sind das nur die Auswirkungen des Alkohols?
Irmas Handy unterbricht meine Grübeleien. Sie geht ranund führt ein kurzes Gespräch. »Das war Otto«, erklärt sie danach »Er wollte –«
Die Türklingel erübrigt weitere Erklärungen. Irma eilt zur Tür, und zehn Sekunden später weht Otto im weißen Leinenanzug in die Küche. Er kleidet sich ausschließlich in Weiß und frischt den Saubermannlook mit Farbtupfern auf, heute mit einem rosa Hemd und einem roten Seidenschal. Auf dem imposanten Schädel sitzt ein beigefarbener Panamahut, im Arm hält er eine Magnumflasche Veuve Clicquot.
»Seid gegrüßt, ihr Lieben! Ein Vöglein hat mir gezwitschert, dass hier ein Jubiläum gefeiert wird. Ich bin das Überraschungsei.« Er kommt auf mich zu, küsst mich links und rechts auf die Wangen und überreicht mir die Flasche mit einer theatralischen Geste. »Für dich, Mathilde-Schätzchen, leg die
Witwe
ins Eis. Kinder, ich bin ja sooo aufgeregt!« Keuchend holt Otto Luft, als stünde er auf der Bühne, strafft die Schultern und setzt zum großen Monolog an. »Durch meine Adern sprudelt pures Adrenalin. Ich habe ein phänomenales Filmangebot aus Frankreich, das mein Comeback bedeuten wird.«
»Ist das tatsächlich
der
Otto Goldbach?«, flüstert Sophie neben mir ehrfürchtig. »Ich bin ein Riesenfan von ihm.«
»Er ist es. Höchstpersönlich«, bestätige ich. »Otto ist sozusagen ein Freund des Hauses.«
Irma macht sich am Küchenschrank zu schaffen, um ein Glas für Otto
Weitere Kostenlose Bücher