Liebe auf den letzten Blick
mal gehört?«
»Niemals!«, entrüstet sie sich, bückt sich wieder nach einem Plüschtier und richtet sich dann keuchend auf. »Wenndie Pfunde durch Sport nicht schwinden, dann opfere ich meine mädchenhafte Figur eben auf dem Altar der Liebe.«
Entgeistert unterbreche ich meine Arbeit. »Was redest du für einen Schmarrn?«
»Kein Schmarrn!«, widerspricht sie energisch. »Ich esse, weil ich Gustl liebe. Wenn es mir schmeckt und ich doppelt zulange, freut er sich immer so.«
»Verstehe«, antworte ich grinsend, weil mir nämlich soeben klar wird, dass mein »Liebesaltar« aus einer Batterie Portweinflaschen besteht.
»Moritz ist der perfekte Mieter«, wechselt Amelie das Thema.
Ich nicke zustimmend. »Könnte man sagen. Durch seinen Einzug sinkt das Durchschnittsalter um etliche Jahre.«
»Wieso Alter?« Sie kichert. »Ich rede von Fred, der seinen Sohn doch bestimmt besuchen wird. Das ist mal ein toller Mann, tolle Ausstrahlung. Und er wirkt wie ein Künstler …«
Ich knurre nur. »Mmm. Er unterrichtet ja auch Kunst.«
Amelie schwärmt weiter. »Ich finde, er sieht eher aus wie ein Popstar. Als würde er gleich eine Gitarre schultern und seinen größten Hit aus vergangenen Zeiten anstimmen – oder dir — einen Lovesong singen.« Sie funkelt mich herausfordernd an.
Mist. Ich habe so sehr gehofft, dass niemand meine romantischen Sehnsüchte bemerken würde.
»Keine Ahnung, was du meinst«, stelle ich mich dumm. Meine Gefühle offenbare ich niemanden, Amelie schon gar nicht, die ist imstande und verplappert sich.
Sie stemmt die Hände in die Hüften. »Du glaubst wohl, ich wäre blind?«
Stumm zucke ich die Schultern.
»Die Karten bestätigen, was ich vermute«, beharrt sie.
»Ach so, die Karten«, winke ich erleichtert ab. »Lag dawieder mal ein Prinz für mich auf dem Tisch? Oder vielleicht der nächste für dich?«
Sie vollführt eine neue Übung, indem sie sich am Regal festhält, ein Bein nach hinten streckt und einen Stapel Bücher herunterangelt. »Mach dich nur lustig über mich«, schnauft sie angestrengt, als transportiere sie Blei.
»Das liegt mir fern«, entgegne ich und mache mich eilig an einem Karton zu schaffen, um mein Kichern zu kaschieren.
Gustl kehrt mit sorgenvoller Miene zurück.
»Wie geht es Dana?«, erkundige ich mich.
»Nicht gut. Gar nicht gut«, grummelt er leise. »Deshalb werde ich jetzt persönlich eingreifen. Die Züge fahren ja beinahe jede Stunde.«
»Nach Berlin?« Amelie reagiert so entsetzt, als habe Gustl angekündigt, ihre Affäre beenden zu wollen.
»Jawohl!«, bestätigt Gustl ungerührt. »Ihr müsst also leider ohne mich zurechtkommen«, sagt er und verkündet im Rausgehen: »Ich muss ein paar Sachen zusammenpacken.«
»Gustilein, warte …« Amelie stürzt ihm hinterher. »Ich helfe dir und suche im Internet die Abfahrtszeiten …«
Dass sie mich im Stich lässt, scheint sie überhaupt nicht zu kümmern. Allerdings, sooo eine große Hilfe war sie nun auch wieder nicht. Vermutlich würde sogar der kleine Luis schneller aufräumen. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich mich sputen muss. In einer Stunde möchte ich das Zimmer übergeben.
Dreißig Minuten später schrillt die Türklingel. Ist Moritz etwa überpünktlich? Grundsätzlich schätze ich diesen Charakterzug, nur heute bringt er mich ins Schwitzen. Ich wollte mich doch noch duschen, umziehen und ein wenig zurechtmachen. Ich kann den jungen Mann doch nicht verschwitzt empfangen.
Glücklicherweise ist es nur das Taxi für Gustl. Der Fahrer kündigt an, draußen zu warten, und verzieht sich gleich wieder.
»Taxiii«, brülle ich durch den Flur
Amelies blonder Kopf erscheint in der Küchentür. »Ach Gottchen, ich schmier Gustl gerad noch ein Brot.« Sie verschwindet wieder.
»Kaffee … Thermoskanne«, ertönt Gustls Bass aus seinem Zimmer.
»Für mich bitte auch Kaffee«, rufe ich ihr zu.
Hoffentlich hat sie es gehört, denn das erneute Schrillen der Klingel hat meine Worte übertönt.
Diesmal ist es tatsächlich Moritz – in Begleitung seines Vaters.
Mist. Mit Fred habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Und ich war immer noch nicht im Bad. Überhaupt sehe ich in den ollen Klamotten garantiert aus, wie man sich eine Rentnerin vorstellt: ungeduscht, ungeschminkt, unattraktiv.
Vater und Sohn sind wieder schwarz gekleidet. Moritz trägt heute keinen Hut, dafür eine Hornbrille und sieht so richtig nach einem schlauen Studenten aus. Über Freds Schulter hängt ein prall
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