Liebe auf den letzten Blick
wir nicht verheiratet sind, landet das Kindergeld automatisch auf meinem Konto. Ich fand die Abmachung einigermaßen gerecht. Zumal Torsten noch studiert und von einer kleinen Erbschaft lebt, die ihm seine Eltern nach ihrem Unfalltod hinterlassen haben.«
»Und was ist schiefgelaufen?«, frage ich, obwohl ich ahne, dass es für dieses Desaster nur eine Erklärung geben kann.
Hilflos zuckt sie die Schultern. »Keine Ahnung.«
»Hm.« Ich nehme einen Schluck Bier. »Hast du mit ihm darüber gesprochen? Was sagt er dazu?«
Sophie antwortet nicht, presst stattdessen die Hand auf den Mund und schluchzt auf. »Der Mistkerl ist seit gestern verreist, zu einer Grabung in die ägyptische Wüste.«
Toller Familienvater! »Wusstest du denn nichts von Mahnungen oder einer angedrohten Kündigung?«, frage ich Sophie verwundert.
»Um den ganzen Papierkram hat sich Torsten gekümmert. Er ist ja viel häufiger zu Hause als ich. Aber wenn es etwas Wichtiges gab, hat er mich normalerweise informiert.«
»Apropos«, hake ich ein. »Wo warst du eigentlich, als das Schloss ausgetauscht wurde?«
»Ich hab Luis von einem Kindergeburtstag abgeholt. Aber das Drama nahm bereits heute Morgen seinen Anfang, als die fristlose Kündigung im Briefkasten lag. Ich wollte den säumigen Betrag sofort online überweisen, musste aber feststellen, dass mein Dispokredit restlos ausgeschöpft war. Das Konto ist mit fünftausend Euro in den Miesen. Das muss Torsten abgehoben haben, nur er kennt die PIN-Nummer meiner EC-Karte.«
»Die Karte ist auch weg?«, frage ich.
»Nein, sie ist noch in meiner Geldbörse. Aber er muss sie sich kurz vor seiner Abreise
ausgeliehen
haben«, antwortet sie, peinlich berührt. »Nachdem ich das Minus gesehen habe, habe ich die Kinder gepackt und bin losgeradelt. Auf dem Weg zur Bank habe ich Nora in die Krippe und Luis zu Fred gebracht. Als er dann zum Unterricht musste, hat er dich gebeten, auf ihn aufzupassen. Dafür habe ich mich noch gar nicht bei dir bedankt, Mathilde …«
»Ach was«, winke ich ab. »Luis und ich hatten viel Spaß auf dem Spielplatz, und ich genieße das Zusammensein mit deinem Sohn sehr. Wie du weißt, habe ich ja leider keine Kinder. Aber erzähl weiter, wie verlief dein Besuch bei den Geldverleihern?«
Sie lässt den Kopf sinken.
»Dir fehlen Sicherheiten?«, tippe ich.
Sophie nickt. »So ähnlich. Mein Gehalt ist zu niedrig, um mein Konto noch weiter zu überziehen. Aber sie haben mir einen Kleinkredit angeboten. Leider dauert es ein paar Tage, ehe ich über das Geld verfügen kann. Das habe ich dem Vermieter auch sofort telefonisch mitgeteilt und ihn angefleht, noch ein wenig Geduld zu haben. Doch er ist inzwischen so sauer, weil wir die Mahnungen ignoriert haben, dass er mirnur noch eine Frist bis nachmittags zugestehen wollte und danach das Türschloss hat austauschen lassen.«
Mitfühlend streiche ich ihr über den Rücken. »Arme Sophie, da haben sich ja wirklich alle Mächte gegen dich verschworen.«
Sie dreht den Kopf weg und streichelt Noras Bauch. »Wenn du mich nicht aufgenommen hättest, würden wir jetzt auf der Straße sitzen.«
»Du kannst bei uns wohnen, solange du willst«, versichere ich ihr. Doch etwas an Sophies Geschichte stört mich. Dann fällt es mir ein. »Was für ein Glück, dass du Windeln und ein Fläschchen für Nora dabei hattest.«
»Hatte ich gar nicht.« Sie deutet auf die Bierflasche. »Ist da noch etwas drin?«
»Die ist leer. Aber im Kühlschrank gibt’s reichlich«, antworte ich und hole uns noch Nachschub. »Und wie kommt es dann, dass ihr alles Notwendige mitgebracht habt? Ein Baby braucht doch sicher so einiges.«
»Zum Verrücktwerden viel«, seufzt sie. »Nachdem ich im Briefkasten die Nachricht eines Schlossers vorfand – übrigens auch seine Rechnung, die ich natürlich begleichen muss –, habe ich in der ersten Verzweiflung Fred angerufen. Ich war einfach zu erschöpft, die Kinder noch mal in den Fahrradanhänger zu packen, und für ein Taxi hatte ich nicht genügend Geld. Fred hat mich abgeholt und ist mit mir in einen Drogeriemarkt, um ein Fläschchen, Milchpulver und Windeln für Nora zu besorgen«, erklärt sie. »Zum Glück stand wenigstens der Kinderwagen im Hausflur.«
»Wie schön«, entgegne ich ungewollt spitz.
Nach ihrem Bericht scheint auf der Hand zu liegen, dass ihr Verhältnis mit Fred der Grund ist, warum Torsten verschwunden ist.
»Ohne Freds Unterstützung wäre ich durchgedreht«, bestätigt sie arglos.
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