Liebe auf den letzten Blick
und ich lache mit ihm. »Na, hast du was Schönes geträumt?« Ich klopfe aufs Bett und fordere ihn auf, sich zu setzen.
Verlegen zieht er an seinem von Dana ausgeliehenen rosafarbenen T-Shirt und schaut mich mit wachem Ausdruck an. »Darf ich Rollerfahren?«
»Na klar.« Ein bisschen früh ist es zwar, aber warum soll der Kleine nicht im Flur rumsausen? Wo die großen Kinder sonst um diese Zeit laute Musik hören.
»Kommst du mit?«
Ich kapiere nicht sofort. »Wohin denn?«
»Nach oben, zu meinem Papa«, antwortet er und sieht mich an, als sei ich begriffsstutzig. »Da steht mein Roller, weißt du doch.«
»Ach so, ja«, sage ich und suche eilig nach einer plausiblen Ausrede. Wie mache ich dem Kind nur begreiflich, dass das Schloss noch immer
verzaubert
ist?
»Luis, lass Mathilde in Ruhe, sie will bestimmt noch schlafen.«
Eine verschlafen wirkende Sophie, immer noch in Amelies Nachthemd, erscheint in der Tür. Sie trägt das Baby auf dem Arm, das mich genauso munter anschaut wie ihr großer Bruder.
»Nein«, widerspricht Luis entschieden. »Mathinde holt den Roller.«
Ich sende einen hilfesuchenden Blick zu Sophie.
»Das geht nicht«, erklärt sie geistesgegenwärtig und verspricht: »Später vielleicht.«
»Ich will aber je-eetz«, protestiert er lautstark und fängt an zu weinen.
Die kleine Nora zuckt zusammen, verzieht den kleinen Mund und stimmt eine Sekunde später noch lauter ein.
Auf so geballte Kinderemotionen bin ich nicht gefasst. Bisher habe ich Luis immer nur fröhlich erlebt. Mir bricht sofort der Schweiß aus, und ich weiß nicht, wie ich reagieren soll – trösten, ignorieren oder mit Gummibärchen bestechen?
Sophie scheinen solche Gefühlsausbrüche hingegen nicht aus der Ruhe zu bringen. »Später«, bestimmt sie, fasst Luis an der Schulter und versucht, ihn aus dem Zimmer zu schieben.
»Ja, was ist denn hier los?«, ertönt Gustls dunkler Bass, und schon taucht sein rundes, unrasiertes Gesicht im Türrahmenauf. »Aha!«, lacht er. »Hat da vielleicht ein kleiner Mann großen Hunger?«
Luis verstummt, als habe Gustl ein Codewort gesagt.
»Na?«, fragt Gustl und knöpft sich das noch halb offene Hemd zu. »Möchtest du mir in der Küche helfen, Frühstück für alle zu machen?«
Skeptisch blickt Luis zu Gustl auf. Küchenarbeit als Ersatz für eine rasante Rollertour im Flur scheint ihn nicht zu überzeugen.
»Du darfst Eier aufschlagen«, verspricht Gustl. »Und Rührei braten.«
Zwischen Luis’ Augenbrauen bildet sich eine steile Falte, als überlege er, was Eieraufschlagen nun genau ist und ob das spannend sein könnte. Doch dann saust er mit einem lauten »Jaaa« auf Gustl zu. Der fängt ihn mit ausgebreiteten Armen auf, hebt ihn hoch und trägt ihn davon.
Sophie atmet auf. »Gerettet! Wenn Luis sich Rollerfahren in den Kopf gesetzt hat, gibt es kaum etwas, um ihn davon abzubringen.«
»Da ist Gustl der richtige Mann. Er liebt den Umgang mit Kindern und wünscht sich schon lange Enkelkinder.«
»Er kann sich meinen Sohn gern ausleihen«, entgegnet Sophie und entschuldigt sich. »Nora braucht frische Windeln. Anschließend komme ich helfen und mache mich nützlich.«
»Nicht nötig«, winke ich ab. »Die Küche ist Gustls Reich, da werkelt er mit Vorliebe allein rum. Wir übernehmen dafür das Putzen in den anderen Räumen.«
»In Ordnung, dann bis später«, verabschiedet sie sich.
Als ich die Küche betrete, schneidet Gustl gerade Brot auf. Luis sitzt neben ihm auf der Arbeitsfläche und knabbert an einem Apfelschnitz.
Mit glänzenden Augen streckt er mir seine Hand mit gespreizten Fingern entgegen. »Sooo viele Eier geschlagen.«
»Hui«, grinse ich. »Dann bist du Weltmeister im Eierschlagen.«
»Hmm.« Er nickt kauend.
Amelie erscheint als Minerva im wallenden schwarzen Gewand und mit dunklem Augen-Make-up. Mir gefiel sie als buntes Hippie-Lieschen besser. Kurz darauf taucht das junge Liebespaar auf, im Partnerlook – in Jeans und weißen Herrenhemden. Als Letzte kommt Irma herein, in einen edlen pistaziengrünen Seidenpyjama gehüllt, der zu ihren roten Haaren geradezu mondän wirkt.
Es dauert nicht lange, bis der Tisch gedeckt ist. Alle helfen mit, bis auf Amelie, die Platz nimmt, um die Tageskarte zu ziehen.
»Oh, oh, drei Schwerter«, nuschelt sie düster.
»Zieh einfach eine andere Karte«, unterbreche ich sie, um schlimmere Vorhersagen zu verhindern. »Eine, die Friede, Freude, Eierkuchen verkündet.«
»Du wirst noch an mich denken«, kontert sie
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