Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
gesellten sich zu ihr. Die junge Frau nötigte sich ein Lächeln ab und bemühte sich, nicht fahrig mit den Händen herumzuspielen.
»Da bist du ja, mein liebes Kind!« Lady Mowbray schloss sie in eine liebevolle Umarmung und trat dann einen Schritt zurück. »Ich werde dich vermissen, Liebes. Du musst Adrian unbedingt überreden, dass er mit dir nach London kommt, sobald er ein bisschen Luft hat. Ich weiß, er wird sich sträuben – das macht er jede Saison, aber da musst du hart bleiben. Ich möchte mit dir bummeln gehen und dich beraten, welche gesellschaftlichen Ereignisse man besucht und welche nicht. Und du musst unbedingt einen Ball geben – deinen ersten als Gräfin von Mowbray.«
»Ja, Mylady«, murmelte Clarissa zweifelnd und nicht sonderlich begeistert über die Aussicht, wieder am Gesellschaftsleben teilzunehmen, wenn auch nun mit Brille. Lady Mowbray schien ihre Skepsis zu ahnen, sie lächelte begütigend und tätschelte freundlich Clarissas Hand. Dann wandte sie sich ihrem Sohn zu.
»Gib Mutter einen Kuss, mein lieber Junge«, murmelte sie mit einem Hauch von Belustigung in der Stimme.
Mit diesem Satz brachte sie Adrian für gewöhnlich auf die Palme, aber das schien er nicht mal mitzubekommen. Er beugte sich vor und küsste seine Mutter zerstreut. Die ältere Dame hob forschend die Augenbrauen und blickte über ihre Schulter fragend zu Clarissa, die aber auch keine Ahnung hatte, wieso ihr Mann auf die Frotzelei nicht reagierte. Sie zuckte ratlos mit den Achseln.
Adrian straffte sich, fasste seine Mutter am Arm und half ihr in die Kutsche. Dann schloss er den Verschlag und klopfte zweimal mit der Faust darauf. Sogleich ließ der Kutscher seine Peitsche über den Pferden schnalzen, und das Gefährt setzte sich in Bewegung. Lady Mowbrays bestürzter Blick haftete sorgenvoll auf Clarissa, während die Kutsche die Allee hinunterrollte. Ihre Miene signalisierte, dass sie schwere Bedenken hatte, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmte.
Clarissa schloss sich der Einschätzung ihrer Schwiegermutter an; irgendetwas stimmte definitiv nicht mit ihm. Adrian drehte sich auf dem Absatz um und setzte mit langen Schritten zu den Ställen. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass seine bessere Hälfte eine Brille trug.
Clarissa und Lady Mowbray hatten das gemeinsam geplant, um Adrian die Sache mit der Brille geschickt unterzujubeln. Die beiden Frauen hatten sich nach Clarissas Rückkehr aus dem Dorf zusammengesetzt und alles abgesprochen. Nun, da Lady Mowbray beschlossen hatte, ein paar Tage zu verreisen, wollte sie unbedingt vorher noch wissen, ob Adrian das mit der neuen Brille gut aufnahm. Clarissa hatte sich widerstrebend einverstanden erklärt, am Portal zu warten und ihre Brille zu tragen, wenn ihr Mann seine Mutter verabschiedete.
Blöderweise hatte er ihren Plan durchkreuzt. Der verrückte Kerl hatte gar nichts mitbekommen! Er hatte anscheinend kaum bemerkt, dass Clarissa überhaupt da war, und das war höchst ungewöhnlich. Er hatte fürchterlich abwesend gewirkt. Offenbar hatte er anderes im Kopf – und bestimmt nichts Angenehmes, das schloss sie aus seiner düsteren Miene. Er hatte einen grimmig entschlossenen Zug um den Mund, der ihr Angst machte.
Clarissa raffte ihre Röcke und lief ihm hinterher. »Adrian?«
»Ja, Liebes?«, murmelte er und verlangsamte seine Schritte.
Sie blinzelte, verblüfft über das Kosewort, und fragte dann gefasst: »Ist irgendwas?«
»Nein, nichts.«
»Wo willst du denn so eilig hin?«, fragte Clarissa alarmiert.
Er eilte in den Stall und begann seinen Hengst zu satteln. »Ich muss zu den Wyndhams.«
»Zu den Wyndhams?«, echote sie. »Zu deinen Nachbarn?«
» Unseren Nachbarn«, korrigierte Adrian.
»Unseren Nachbarn«, wiederholte Clarissa gehorsam. »Weshalb?«
»Weshalb was?«
»Weshalb musst du zu den Wyndhams reiten?«, fragte sie gereizt. Als er mit der Antwort zögerte, umklammerte Clarissa seinen Arm und zog ihn zu sich herum. »Was ist passiert?«
»Nichts«, antwortete er schnell und schwenkte mit den Augen zu seinem Pferd, um Clarissa nicht anschauen zu müssen.
Clarissa schüttelte ihn am Arm. »Du willst dich dort mit Reginald treffen, stimmt’s? Und warum?«
Adrian schluckte und drehte sich langsam zu ihr um. »Du wusstest, dass er dort ist?«
»Ja.«
»Woher?«
»Wir sind ihm heute Morgen im Dorf begegnet. Da hat er erzählt, dass er zu Gast bei den Wyndhams ist.«
»Grundgütiger, er hätte dich töten können«, flüsterte Adrian entsetzt.
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