Liebe auf eigene Gefahr Roman
du«, murmelt er. »Wieder wach?«
»He«, sage ich und fahre mit der Zunge meinen nassen Mund entlang, während er mir die Haare streichelt. Ich hebe den Kopf, um ihn anzusehen, und seine eigenen Augen sehen im Licht des Feuers ebenfalls rot gerändert aus. Ich greife hoch und berühre die salzigen Spuren auf seinen Wangenknochen. »Alles in Ordnung?«, frage ich.
»Ja«, antwortet er und schüttelt meine Hand ab. »Bloß traurig. Es ist traurig.« Mit den Händen streicht er über meinen Körper.
»Ich verstehe nicht, wie es dazu kommen konnte.« Ich blinzle zur Decke, und eine Vision von ihr, wie sie Dad bei seinem Geburtstag im August küsst, schnürt mir die Brust zusammen. »Mein ganzes Leben lang hat sie mir was von Stärke und Treue vorgebetet, und jetzt ist das alles für den Arsch, alles, wofür sie steht, ist für den Arsch. Mein Dad ist ein paar Monate lang etwas wirr im Kopf, und schon schmeißt sie verdammt noch mal alles hin.«
»Schhh«, macht er sanft, obwohl ihm selbst das Wasser in die Augen steigt. Mir wird klar, dass ich gerade seine Ersatzfamilie beerdige, aber ich kann nicht aufhören.
»Wie kann ich jetzt noch auf irgendetwas vertrauen?« Die Tränen fließen jetzt schneller. »Wie kann ich auf irgendwas vertrauen, was sie sagen oder tun? Warum musste das passieren, Jake?«
»Ich weiß es nicht.« Durch die Decke hindurch reibt er mir den Rücken. »Warum ist meine Mutter so, wie sie ist? Warum ist mein Dad die ganze verdammte Zeit auf Reisen? Ich weiß es nicht.«
»Ich weiß es auch nicht.« Ich rolle mich in seine Armbeuge, um ihn anzusehen, und er legt seine Hand auf meine Hüfte und zieht mich näher heran, um mich auf die Stirn zu küssen.
»Weil sie bescheuert sind?«, schlägt er vor.
»Ja.« Ich schaffe es zu lachen, bevor ich mir auf die Lippe beiße. »Was hast du getan, als deine Mom in diesen Baum gefahren ist? Wo hast du das hingesteckt?«
»Ich weiß nicht. Sie ist einfach … Ich saß die ganze Nacht auf dem Boden neben ihrem Bett und habe mich schrecklich gefühlt, und dann, ich weiß nicht … es bleibt nicht immer so schlimm. Nur am Anfang.«
»Wirklich?«, frage ich und wünsche mir, dass er recht hat, beschließe, dass er recht hat.
»Wirklich.« Er sieht mich an, und das, was in ihm zerbrochen ist, findet sein Echo in dem, was in mir zerbrochen ist. »Im Moment sitzt du einfach noch neben ihrem Bett auf dem Boden, Schlaubi. Die Sonne geht trotzdem auf.«
»Aber es hat so wehgetan.« Ich schlinge die Arme um mich. »Überall tut es weh.« Sanft hebt er meine Finger und senkt den Kopf. Ich spüre seine warmen Lippen auf meiner Seite, wie sie über meine Rippen wandern, an meiner Haut entlang nach oben fahren, über meinen Nacken und schließlich zu meinen Lippen.
»Es muss nicht wehtun. Ich will nicht, dass es dir wehtut«, sagt er, das Gesicht ganz nah über meinem. Er küsst meinen Wangenknochen, meinen Nasenrücken, umkreist mit seiner tröstenden Wärme meine Augen. Ich schließe sie und fahre ihm mit den Fingern in die Haare.
Die Hütte ist noch in das blaue Licht der frühen Morgendämmerung getaucht, als ich vom Geräusch eines Automotors aufwache, der abgeschaltet wird. Schwindel erfasst mich, als ich mich aus Jakes Arm löse, aufstehe und über ihn hinwegsteige, um aus dem Fenster nach draußen zu spähen, wo Dads Auto am Ende der Straße geparkt ist. Die Scheinwerfer erlöschen. Mit wackeligen Beinen ziehe ich meine zerknitterte schwarze Anzughose an, schlüpfe mit den Füßen
in meine Halbschuhe und werfe mir Dads Blazer über, aus dem noch der Rauchgeruch des gestrigen Feuers aufsteigt. Dann entriegle ich die Tür.
Mom sieht mich und steigt aus. Ich ziehe die Tür hinter mir zu und schiebe schweigend den Riegel wieder vor. Sie hat immer noch nur ihr Kleid an und schlingt die Arme um sich, sieht überraschend klein aus unter den aufragenden Eichen. Knirschend zermalmen meine Halbschuhe den Schnee, als ich die Stufen hinuntergehe. Ich kann – ich will diese Version meiner Mutter nicht sehen. Die Version des Danach.
In einer sichtbaren Wolke füllt ihr Atem den Raum zwischen uns. »Katie.« Sie ist heiser, ihr Gesicht ist geschwollen, wund. Ich zwinge die Kälte, mich ganz einzunehmen, keinen Platz mehr für Gefühle zu lassen. »Laura hat mir von der Hütte erzählt. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du herumfährst mit diesem …« Sie bricht in Tränen aus, die ich nicht an mich heranlassen kann. »Er weigert sich, mit mir zu
Weitere Kostenlose Bücher