LIEBE DEINEN NÄCHSTEN Noah Fitz Thriller (German Edition)
die junge Dame einzugestehen.
Das Foto war nicht professionell. Ein Blatt Papier war als Untergrund für die Druckertinte benutzt worden. Die Qualität war alles andere als akzeptabel. Genau das wurde beabsichtigt, um etwas zu verbergen und zu vertuschen, was den Augen des Betrachters verborgen bleiben sollte. Lisa kam das Ganze nicht überzeugend vor.
„Raphael, ist es wirklich dein Sohn? Ja?“, sprach sie leise ihren verletzten Partner an. Er stand rücklings an die Wand angelehnt und starrte an die Decke. „Bist du dir da ganz sicher? Es scheint an diesem Bild etwas nicht zu stimmen. Du musst es bitte mit Abstand anschauen. Ich weiß, ich verlange da etwas, was für dich im Moment unmöglich erscheinen mag, doch ...“ Sie verstummte, ging zwei Schritte zu ihm, die die beiden voneinander trennten, und nahm seine Hand in die ihre. Die raue Hand des Inspektors war eiskalt und zitterte so, als fröre er erbärmlich bei der heutigen fast schon tödlichen Tageshitze. „Raphael, sammel dich bitte, ich brauche deinen klaren Verstand. Du musst da jetzt durch. Ich weiß ... nein, ich weiß es nicht, doch ich kann es nachempfinden, wie du dich im Moment fühlst, dennoch, irgendetwas stimmt hier nicht. Das Bild ist unscharf, obwohl es dort ...“
Raphael schaute sie fragend an. Sein Blick war wieder forsch.
„Da, wo dieses Foto geschossen wurde, müsste es taghell sein, dennoch ist das Bild sehr duster. Es wurde digital nachgeholfen.“
„Lisa, es ist mein Sohn“, er schrie fast, „und es ist mir scheißegal, ob es digital nachgeschwärzt wurde. Fakt ist, dass mein Sohn dort an einem Kreuz hängt“, er stocherte mit seinem schwieligen Finger auf dem Foto herum, „ich werde dem Arschloch seine Eier abschneiden und ihm in sein gottverdammtes Maul stopfen. Die erste Hand war von meinem Sohn. Er hatte schon immer feine Hände gehabt. Alle sagten, er sollte zum Klavierunterricht gehen. Mein Sohn wollte lieber Fußballer werden. Wieso er ihm aber die Haare abrasiert hat, weiß ich nicht. Vielleicht spielt der ...“ Raphael stockte, ihm blieben die Worte aus. Was sehr selten geschah. Er hatte keine passende Bezeichnung für dieses abnormale Geschöpf, das seinem Sohn so etwas Unmenschliches antat. Der besorgte Vater schluchzte. „Vielleicht spielt er Doktor und desinfiziert ihm vorher die Stelle ...“ Fast schon hysterisch, einem Verrückten gleich, klang sein Ausbruch. Erneut kämpfte er gegen seine Tränen an. Raphael lachte. Es klang mehr nach Weinen.
„Raphael, reiß dich zusammen, verdammt!“ Lisa war jetzt diejenige, die schrie. „Dein Sohn lebt noch, wenn wir jetzt zu lang diskutieren, wie unmenschlich und brutal der Feigling ist, und die für uns kostbare Zeit umsonst vergeuden, lebt dein Sohn vielleicht nicht mehr lange!“ Sie beabsichtigte diese Schroffheit.
„Ich würde jeden töten, der meinem Sohn das antut“, zischte Raphael.
*****
„Hey, wach auf, Jesus Christus!“
Jochen hörte die Worte, so als spräche jemand durch eine Wand im Nebenzimmer. Etwas Nasses sprang ihm ins Gesicht. Langsam kam er zu sich. Er wollte seinen Kopf bewegen. Es gelang ihm nicht. Sein Haupt konnte er um keinen Millimeter bewegen. Das Klebeband hielt ihn so fest, dass es schmerzte. Seine Hände taten höllisch weh. „Die haben mir die ganze Blutzufuhr abgeschnürt“, dachte er erzürnt.
Das ‚etwas Nasse‘ war ein schmutziger stinkender Lappen, seine Mundpartie war vollkommen von dem grauen Etwas umschlossen. Er schmeckte und roch den säuerlichen Gestank der Verwesung und Zersetzung, es glich einem toten Tier, das schon lange tot in der Sonne lag und von Maden zersetzt worden war. Zum Glück fiel der nach Verwesung stinkende Stoff klatschend auf den Boden, Jochen musste sich dennoch übergeben. Warme, gelbe Brühe aus Erbrochenem lief an seinem Körper herab. Er fühlte sich erniedrigt und beschämt zugleich. Er wollte die scheußlich riechende Brühe von sich weg wischen. So fest er auch an seinen Fesseln zerrte, wurden sie nicht lockerer. Nichts als schneidenden, bis zum Knochenmark durchdringenden Schmerz bekam er als Belohnung für seine versuchte Befreiungsaktion. Er fühlte seine Hände nicht, seine Finger waren so taub, dass er sie nicht einmal bewegen konnte. Ein Schwall von kaltem Wasser ließ ihn aufschrecken. Er zuckte unbewusst, seine Fesseln fraßen sich noch tiefer in sein geschundenes Fleisch. Ein Schrei, der zu seiner Erleichterung dienen sollte, zerfetzte fast seine
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