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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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kommen«, sagte er. »So kann es ja nicht bleiben.«
      »Ja …« Der Alte blickte vor sich hin. »Ludwig«, sagte er dann leise, »wenn wir wieder zusammen sind – und wenn Mutter auch wieder da ist -« er machte eine Bewegung hinter sich – »das ist dann alles vergessen – wir denken nicht mehr daran, was?«
      Er sprach leise und kindlich und zutraulich; es war wie das Gezwitscher eines müden Vogels. »Ohne mich könntest du nun studieren, Ludwig«, sagte er ein wenig klagend und mechanisch, wie jemand, der so of darüber nachgegrübelt hat, daß sein Schuldbewußtsein mit der Zeit etwas Automatisches angenommen hat.
      »Ohne dich wäre ich gar nicht am Leben, Vater«, erwiderte Kern.
      »Bleib gesund, Ludwig. Willst du nicht die Zigaretten nehmen? Ich bin doch dein Vater, ich möchte dir gern etwas geben.«
      »Gut, Vater. Ich werde sie behalten.«
      »Vergiß mich nicht ganz«, sagte der alte Mann, und seine Lippen zitterten plötzlich. »Ich habe es gut gewollt, Ludwig.« Es schien, als könne er sich von dem Namen nicht trennen; er wiederholte ihn immer wieder. »Wenn ich es auch nicht fertiggebracht habe, Ludwig. Ich wollte für euch sorgen, Ludwig.«
      »Du hast für uns gesorgt, solange du es konntest.«
      »Dann werde ich jetzt gehen. Alles Gute für dich, mein Kind.«
      Kind, dachte Kern. Wer von uns beiden ist das Kind? Er sah seinen Vater langsam die Straße hinuntergehen, er hatte ihm versprochen, er würde ihm schreiben und ihn wiedersehen, aber er wußte, es war das letztemal, daß er ihn sah. Er blickte ihm mit weiten Augen nach, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann wurde es leer.
      Er ging zurück. Auf der Terrasse saß Marill und las mit einem Gesicht voll Abscheu und Hohn noch immer in seiner Zeitung. Merkwürdig, wie schnell etwas einstürzen kann, dachte Kern … schon, während ein anderer immer noch die Zeitung liest. Vollwaise, Fünfzigjähriger – er lächelte krampfaf und mit trübem Spott – Vollwaise … als ob man es nicht werden könnte, ohne daß Vater und Mutter tot waren …
    DREI TAGE SPÄTER reiste Ruth Holland nach Wien. Sie hatte ein Telegramm einer Freundin erhalten, bei der sie wohnen konnte, und sie wollte versuchen, Arbeit zu bekommen und zur Universität zu gehen.
      Am Abend ihrer Abreise ging sie mit Kern in das Restaurant »Zum schwarzen Ferkel«. Beide hatten bislang jeden Tag in der Volksküche gegessen; für den letzten Abend jedoch hatte ihr Kern vorgeschlagen, etwas Besonderes zu unternehmen.
      Das »Schwarze Ferkel« war ein kleines, verräuchertes Lokal, das nicht teuer, aber sehr gut war. Marill hatte es Kern genannt. Er hatte ihm auch die genauen Preise gesagt und ihm besonders die Spezialität des Wirtes, Kalbsgulasch, empfohlen. Kern hatte sein Geld gezählt und ausgerechnet, daß es sogar noch für Käsekuchen hinterher als Dessert reichen mußte. Ruth hatte ihm einmal gesagt, das sei eine Leidenschaf von ihr. Als sie ankamen, erwartete sie jedoch eine peinliche Überraschung. Es gab kein Gulasch mehr. Sie waren zu spät gekommen. Sorgenvoll studierte Kern die Speisekarte. Die meisten anderen Sachen waren teurer. Neben ihm leierte der Kellner seine Litanei herunter. »Geselchtes mit Kraut, Schweinskotelett mit Salat, Paprikahuhn, frische Gansleber …«
      Gansleber, dachte Kern – der Narr scheint uns für Multimillionäre zu halten. Er gab Ruth die Karte. »Was möchtest du statt Gulasch haben?« fragte er. Er hatte festgestellt, daß, wenn er Koteletts bestellte, die Käsekuchen dahin waren.
      Ruth warf einen kurzen Blick auf die Karte. »Würstchen mit Kartoffelsalat«, sagte sie. Es war das Billigste.
      »Ausgeschlossen«, erklärte Kern. »Das ist kein Abschiedsessen.«
      »Ich esse sie sehr gerne. Nach den Suppen der Volksküche sind sie schon ein Fest.«
      »Und was meinst du zu einem Fest mit Schweinskoteletts. Aber große!«
      »Sind alle eins wie’s andere«, erwiderte der Kellner ungerührt.
      »Was vorher? Suppe, Hors d’œuvre, Sülze?«
      »Nein«, sagte Ruth, bevor Kern sie fragen konnte.
      Sie bestellten noch eine Karaffe billigen Wein, dann zog der Kellner ziemlich verächtlich ab – als ahnte er, daß Kern bereits eine halbe Krone an seinem Trinkgeld fehlte.
      Das Lokal war fast leer. An einem Tisch in der Ecke saß nur noch ein einziger Gast. Es war ein Mann mit einem Monokel und mit Schmissen im breiten, roten Gesicht. Er saß vor einem Glase Bier und betrachtete

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