Liebe deinen nächsten
folgen, er schien anzuklagen und nicht zu verteidigen, der Saal wurde still, die Richter hoben die Köpfe – aber plötzlich, mit einer virtuosen Wendung, drehte er um, zitierte den Bestechungsparagraphen und beleuchtete in vier harten Fragesätzen seine Zweideutigkeit, um dann, peitschend und rasch, das Entlastungsmaterial zu bringen, das jetzt eine ganz neue Wirkung hatte.
Er stand vor dem Haus, in dem er wohnte. Langsam ging er die Treppe hinauf – immer zögernder, immer langsamer.
»Ist meine Frau schon da?« fragte er das verschlafene Mädchen, das ihm öffnete.
»Sie ist vor einer Viertelstunde gekommen.«
»Danke.« Goldbach ging den Korridor entlang in sein Zimmer. Es war schmal und hatte ein kleines Fenster zum Hof.
Er bürstete sich die Haare. Dann klopfe er an die Zwischentür.
»Ja …«
Die Frau saß vor dem Spiegel und betrachtete aufmerksam ihr Gesicht. Sie wandte sich nicht um. »Was gibt’s?« fragte sie.
»Wie geht es dir, Lena?«
»Wie soll es schon gehen bei dem Leben! Schlecht! Wozu fragst du eigentlich so was?« Die Frau prüfe ihre Augenlider.
»Warst du fort?«
»Ja.«
»Wo warst du?«
»Irgendwo. Ich kann doch nicht den ganzen Tag hier sitzen und die Wände anstarren.«
»Das sollst du ja auch nicht. Ich bin doch froh, wenn du Unterhaltung hast.«
»Na also, dann ist es ja gut.«
Die Frau begann langsam und sorgfältig eine Creme auf ihre Haut zu reiben. Sie sprach mit Goldbach wie mit einem Stück Holz – ohne jede Erregung, mit einer entsetzlichen Gleichgültigkeit. Er stand an der Tür und sah ihr zu – hungrig nach einem guten Wort. Sie hatte eine fleckenlose, rosige Haut, die im Lichte der Lampe schimmerte. Ihr Körper war üppig und weich. »Hast du etwas gefunden?« fragte sie.
Goldbach sank in sich zusammen. »Du weißt doch, Lena – ich habe noch keine Arbeitserlaubnis. Ich war beim Kollegen Höpfner; er kann auch nichts machen. Es dauert alles so furchtbar lange …«
»Ja, es dauert schon zu lange.«
»Ich tue, was ich kann, Lena.«
»Ja, ich weiß. Ich bin müde.«
»Ich gehe schon, gute Nacht.«
Goldbach schloß die Tür. Er wußte nicht, was er tun sollte. Hineinstürzen und sie anflehen, ihn zu verstehen, sie anbetteln, mit ihm zu schlafen, eine Nacht … oder? Er ballte kraflos die Fäuste. Verprügeln, dachte er, alle Demütigung und alle Beschämung hineinschlagen in dieses rosige Fleisch, einmal sich loslassen, alle Wut, das Zimmer zertrümmern und schlagen, bis dieser gleichmütige, hochmütige Mund schrie und wimmerte und der weiche Körper sich am Boden krümmte.
Er zitterte und lauschte, Karbatke, nein, richtig, Karbutke, hatte der Mann damals geheißen; es war ein untersetzter Kerl gewesen, mit tief in die Stirn gewachsenem Haar und einem Gesicht, wie der Laie es sich bei einem Mörder vorstellt – es war schwer gewesen, gerade für dieses Gesicht auf Freispruch wegen Handlung im Affekt zu plädieren. Der Mann hatte seinem Mädchen die Zähne eingeschlagen, den Arm gebrochen und den Mund tief eingerissen; ihre Augen waren bei der Verhandlung noch verschwollen, so war sie verprügelt worden; aber trotzdem hing sie an dem Vieh von Kerl in hündischer Ergebenheit – vielleicht auch gerade deshalb. Es war ein großer Erfolg gewesen damals, dieser Freispruch, den er erreicht hatte, eine psychologisch tiefschürfende Meisterverteidigung, wie Kollege Cohn III ihn damals beglückwünscht hatte.
Goldbach ließ die Hände sinken. Er sah die Auswahl billiger, kunstseidener Krawatten, die auf dem Tisch lagen. Ja, damals im Anwaltszimmer unter den Kollegen … wie scharfsinnig hatte er da nachgewiesen, daß die Liebe der Frau nach dem Herrn und Meister verlange; damals, als er sechzigtausend Mark im Jahr verdiente und Lena Schmuck schenkte, dessen Erlös sie jetzt für sich verbrauchte.
Er horchte darauf, wie sie sich zu Bett legte. Er tat es jeden Abend und haßte sich deswegen, aber er konnte es nicht lassen. Seine Wangen wurden fleckig, als er das Knarren der Federn hörte. Er biß die Zähne zusammen, ging zum Spiegel und sah sich an. Dann nahm er einen Stuhl und stellte ihn in die Mitte des Zimmers. »Nehmen wir an, neunte Reihe, die dritte Frau, einen Schlüssel im Schuh versteckt«, murmelte er. Aufmerksam machte er neun kurze Schritte bis zum Stuhl, blinzelte mit dem rechten Auge, fuhr sich mit drei Fingern über die Stirn und schob den linken
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