Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
rückte ihre Hand näher an seine Schulter und lehnte sich an ihn. Langsam glitten sie in den Rhythmus der Musik. Die Scheinwerfer spielten wie farbiges Wasser über sie hin, und einen Augenblick vergaßen sie alles andere – sie waren nur noch weiches, junges Leben, das zueinanderstrebte und gelöst war von den Schatten der Angst, des Versteckens und des Mißtrauens.
      Die Musik brach ab. Sie gingen zu ihrem Tisch zurück. Kern sah Ruth an. Ihre Augen glänzten, und ihr Gesicht war bewegt. Es hatte plötzlich einen strahlenden, selbstvergessenen und fast kühnen Ausdruck. Verdammt, dachte er, leben zu können, wie man wollte … und war eine Sekunde furchtbar erbittert.
      »Sehen Sie mal, wer da kommt!« sagte Binder.
      Kern blickte auf. Der Kommerzienrat Arnold Oppenheim durchquerte den Raum und ging dem Ausgang zu. Neben ihrem Tisch stutzte er und blieb stehen. Eine Weile starrte er die drei an. »Ganz interessant!« knurrte er dann. »Äußerst lehrreich!«
      Niemand antwortete. »Das hat man also für seine Güte und Unterstützung!« fuhr Oppenheim empört fort. »In Bars wird das Geld sofort wieder verjubelt!«
      »Ein bißchen Vergessen ist manchmal notwendiger als ein Abendessen, Herr Kommerzienrat«, erwiderte Binder ruhig.
      »Redensarten! So junge Leute haben in Bars nichts zu suchen.«
      »Auf der Landstraße auch nicht«, antwortete Binder.
      »Darf ich bekannt machen?« sagte Kern. Er wandte sich an Ruth. »Der Herr, der sich hier über uns aufregt, ist der Kom merzienrat Oppenheim. Er hat mir ein Stück Seife abgekauf. Ich habe daran vierzig Centimes verdient.«
      Oppenheim sah ihn verdutzt an. Dann schnaufe er etwas, das wie »Frechheit« klang, und stapfe davon.
      »Was war denn das?« fragte Ruth.
      »Das Alltäglichste von der Welt«, erwiderte Binder mit einer Stimme voll Hohn. »Bewußte Wohltätigkeit. Härter als Stahl.«
      Ruth stand auf. »Er wird doch sicher die Polizei holen! Wir müssen fort.«
      »Dazu ist er viel zu feige. Es würde ihm Unbequemlichkeiten machen.«
      »Wir wollen doch lieber gehen!« – »Gut.«
      Binder bezahlte, und sie brachen auf und gingen zu ihrer Pension. In der Nähe des Bahnhofs kamen ihnen zwei Männer entgegen. »Achtung!« flüsterte Binder. »Ein Detektiv! Unbefangen bleiben.«
      Kern fing leise an zu pfeifen, nahm Ruths Arm und ging langsamer. Er spürte, daß Ruth schneller gehen wollte. Er drückte ihren Arm, lachte und schlenderte langsam weiter.
      Die beiden Männer gingen vorüber. Einer von ihnen trug einen steifen Hut und rauchte gleichmütig eine Zigarre. Der andere war Vogt. Er erkannte sie und machte ein fast unmerkliches bedauerndes Zeichen mit den Augen.
      Kern sah sich nach einer Weile um. Die beiden Männer waren verschwunden. »Richtung Basel, Zug zwölf Uhr fünfzehn zur Grenze«, erklärte Binder fachmännisch.
      Kern nickte. »Hat einen zu menschlichen Richter gehabt.«
      Sie gingen weiter. Ruth fröstelte. »Es ist auf einmal etwas unheimlich hier«, sagte sie.
      »Frankreich«, erwiderte Binder. »Paris. Eine große Stadt ist das beste.«
    »Warum gehen Sie nicht auch hin?«
      »Ich kann kein Wort Französisch. Und dann bin ich Spezialist für die Schweiz. Außerdem …« Er brach ab.
      Sie gingen schweigend weiter. Ein kühler Wind kam vom See. Der Himmel stand groß und eisengrau und fremd über ihnen.

    VOR STEINER SASS der ehemalige Rechtsanwalt Dr. Goldbach II vom Kammergericht Berlin. Er war das neue telepathische Medium. Steiner hatte ihn im Café Sperler gefunden.
      Goldbach war etwa fünfzig Jahre alt und als Jude aus Deutschland ausgewiesen worden. Er handelte mit Krawatten und schwarzen juristischen Ratschlägen. Damit verdiente er aber nur gerade so viel, um nicht zu verhungern. Er hatte eine sehr schöne Frau von dreißig Jahren, die er liebte. Sie lebte vorläufig vom Verkauf ihres Schmuckes; aber er wußte, daß er sie wahrscheinlich nicht behalten würde. Steiner hatte seine Geschichte angehört und ihm die Stelle für die Abendvorstellungen verschaf. Tagsüber konnte er dann seinen übrigen Berufen nachgehen.
      Nach kurzer Zeit zeigte es sich, daß Goldbach als Medium ungeeignet war. Er verwechselte alles und schmiß die Vorstellungen. Nachts saß er dann verzweifelt vor Steiner und flehte ihn an, ihn nicht hinauszuwerfen.
      »Goldbach«, sagte Steiner, »heute war es besonders schlimm! So geht es wirklich nicht weiter! Sie zwingen mich ja,

Weitere Kostenlose Bücher