Liebe Hoch 5
Mode, und meine einzigen journalistischen Erfahrungen stammen von einem Gemeindeblatt einer Kirche in London. Danke, dass Sie mich trotzdem eingeladen haben.«
» Nun warten Sie doch, Ms White. Wir haben ja noch gar nicht miteinander gesprochen?« Stirnrunzelnd schüttelt sie den Kopf und zeigt mit der Hand auf den Stuhl. Ergeben lasse ich mich wieder fallen, obwohl mir nicht klar ist, wohin das hier führen soll.
» Warum haben Sie sich überhaupt bei uns beworben, wenn Sie gar nicht hierher passen Ihrer Meinung nach?«
» Ich weiß nicht … irgendwie dachte ich, warum nicht. Mode war zwar nie mein Hobby, aber ich möchte mich als Journalistin weiterentwickeln und Ihr Magazin ist neu und frisch und könnte ein paar kritische Augen gut gebrauchen.« Ach du je … was rede ich denn hier?
» Kritische Augen?« Sie zieht die Brille wieder ab und beugt sich vor, als ob ich einen Magneten in mir trüge, der sie anzieht.
» Na ja, ich meine … Sie berichten nur über so oberflächliche Dinge. Aber interessieren sich moderne Frauen von heute nicht für das, was hinter den Kulissen passiert? Modehersteller, die zu üblen Konditionen billig in Asien fertigen lassen und trotzdem ihre Kleidung für viel Geld bei Harvey Nichols verkaufen. Obwohl die Qualität diese Preise niemals rechtfertigt. Kinderarbeit. Kranke Mitarbeiter, die nach fünf Jahren Arbeit in einer schrecklichen Färberei in Indien sterben. Billige Hilfskräfte in den Filialen, die sich nicht mal ein T-Shirt der Marke leisten könnten, für die sie arbeiten. Kostenlose Modelle für Filmstars und Popsänger, die sich die Klamotten locker leisten könnten, aber trotzdem ständig gratis beliefert werden. Damit sie das Zeug tragen und in der Presse erscheinen und alle Welt auf einmal diese eine Marke haben will.«
Okay, jetzt bewege ich mich langsam auf sicherem Terrain. Dass Mrs Randall gerade die Gesichtszüge entgleisen, ist mir egal. Wenn ich hier schon nicht anfangen werde, kann sie wenigstens erfahren, was ich von dem ganzen Zirkus halte. Immerhin ist sie eins der weißen Pferdchen in der Arena.
» Überhaupt nervt es mich, dass solche Magazine so einseitig sind. Als ob sich moderne Frauen nur für Klamotten, Make-up und Haare interessieren würden. Ich meine, gucken Sie sich Ihr Heft doch mal an. Nur Äußerlichkeiten. Models mit Konfektionsgröße 32 – das waren mal Kindergrößen, inzwischen müssen Frauen mit normaler Figur in der Übergrößen-Abteilung einkaufen. Und wieso? Weil Mode von ein paar homosexuellen Designern gemacht wird, die offenbar keine weiblichen Kurven in ihren Entwürfen sehen möchten. Warum machen wir das nicht nur mit, sondern fördern es sogar noch? So wie Sie? Ihr Covermodell vom letzten Monat sieht aus, als ob sie bei Windstärke 4 in die Themse geweht würde. Ernsthaft, wer findet das eigentlich schön? Und wieso macht die ganze Branche diesen bescheuerten Trend mit? Was steckt dahinter?«
Mir ist warm, also knöpfe ich meine Jacke auf. Jetzt ist sowieso alles egal, dieser Job ist so gelaufen wie der Sommer.
» Ms White, ich bin zugegeben ein wenig … entgeistert.«
Ich muss lachen. »Ja, das sehe ich. Aber ich habe doch Recht, oder nicht? Was tun Sie dafür, um so dünn zu sein? Auf gutes Essen verzichten? Ihre Freizeit in Fitness-Studios verbringen? Das kann Ihnen doch nicht wirklich Spaß machen! Wieso gibt es kein Modemagazin mit normalen Frauen, die weibliche Figuren haben? Mit Klamotten, die man sich nicht nur leisten kann als Leser, sondern die auch noch tragbar sind?«
Ich habe mich in Rage geredet und greife nach der letzten Ausgabe des London Fashion Spot. Auf einer beliebigen Seite schlage ich das Heft auf und tippe anklagend mit dem Zeigefinger auf ein Motiv. »Hier. Welche Frau kauft denn einen schwarzen Tüllrock mit Pailletten und Strass für 800 Pfund? Wo soll man das überhaupt anziehen, abgesehen von einer Halloween-Party? Warum finde ich keine bezahlbare Mode für jeden Tag? Büro-Outfits, Freizeitklamotten, Partykleider. Sachen, die auch Frauen tragen können, die nicht kurz vorm Verhungern sind. Kleider, in die ein Busen reinpasst. Hosen für Hüften, nicht für Knochen.«
Mrs Randalls Mund steht offen und bildet ein rundes O in ihrem schmalen Gesicht. Ich lehne mich auf dem Stuhl zurück und bin ganz entspannt. Irgendwie war es gut, das endlich mal loszuwerden. Und einen Job hier will ich überhaupt nicht mehr.
» Sie haben den Job«, sagt sie dann, nachdem ich
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