Liebe im Gepäck (German Edition)
Kinn. Mit einer kleinen Narbe. Die hat er sich als Kind bei einem Sturz vom Fahrrad zugezogen.«
Sie öffnete ihre Tasche und fand mit zwei Griffen, was sie gesucht hatte: »Hier, so sieht er aus.«
Harry nahm das Foto und studierte es interessiert. »Sieht gut aus, der Knabe. So in gewisser Weise ein Dolph-Lundgren-Verschnitt.« Dass Franziska Seeberstein einen ›Johnny-Depp-Verschnitt‹ genannt hatte, wurmte ihn immer noch.
Franziska hatte an dieser Beschreibung nichts auszusetzen. Als sie das Foto wieder einsteckte, erinnerte sie sich an ihre Idee: »Hast du heute schon etwas vor? Und in den nächsten Tagen, wie sieht es da aus? Hättest du da einige Stunden Zeit für mich?«
Harry war fassungslos. So unverblümt hatte ihn noch nie eine Frau um ein Rendezvous gebeten.
Er wollte gerade antworten, da fuhr sie schon fort: »Ich bezahle dir natürlich auch etwas.« Franziska hatte seinen Blick völlig falsch gedeutet.
Harry schnappte nach Luft. Hatte er sich da eben verhört? Hatte sie ihm tatsächlich Geld angeboten? Damit er mit ihr ausging? Oder wofür? Um Himmels willen, wofür hielt sie ihn? »Wofür hältst du mich?«, fragte er also. Er grinste, aber schüttelte gleichzeitig fassungslos den Kopf. »Was ist denn in dich gefahren? Schau ich aus wie ein … Callboy, oder was?«
Franziska starrte ihn mit weit geöffneten Augen an und langsam überzog eine tiefe Röte ihr gesamtes Gesicht. »Honni soit, qui mal y pense!«
»Oh, Madame flüchtet ins Französische?«
Harrys Stimme klang spöttisch und ungeduldig. Schließlich war er zutiefst neugierig auf ihre Erklärung.
»Das heißt so viel wie ›Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt‹. Aber darum geht es nicht.« Sie holte tief Luft: »Kleiner …« Sie unterbrach sich: »Nein, ich kann nicht ernst mit dir sprechen, wenn ich dich ›Kleiner‹ nennen soll. Das ist kein Name.«
Harry grinste frech: »Willst du mich nur buchen, wenn ich mir einen neuen Namen zulege?«
»Ich will dich nicht buchen, ich will dich engagieren. Und nicht fürs Bett, sondern als meinen Rechtsanwalt.«
Die Stewardess verteilte heiße Tücher, mit denen sich die Fluggäste nach einer mehr oder weniger angenehmen Nacht erfrischen konnten.
Harry verbrannte sich prompt die Finger. Er warf das eingerollte Tuch von einer Hand in die andere und wieder zurück, um es etwas abzukühlen: »Als dein waaas?Wie kommst du dazu, mich als Rechtsanwalt engagieren zu wollen? Ich bin in der Werbung, schon vergessen?«
Franziska legte sich kurz das heiße Tuch über das Gesicht:
»Zuerst ein anderer Name, dann meine Erklärung.«
»Na gut, dann nenne mich eben Mat«, seufzte Harry, zermürbt von so viel Hartnäckigkeit. Kein Mensch nannte Matthias Mat. Also würde er auch nicht ständig denken, sein Bruder sei gemeint, wenn Franziska ihn so ansprach.
»Also, Mat, die Sache ist folgende …« Und dann erzählte sie ihm von ihrer Kofferproduktion. Von dem Traum, den sie schon als junges Mädchen hatte, von der Konstruktion des ersten Koffers, von den Kontakten zu ihrem Agenten, von ihren ersten China-Reisen, von ihrem großen Ziel, den Querulin-Koffer in ganz Deutschland zu vermarkten, von ihrem großen Traum, den Koffer für die moderne Businessfrau zu schaffen. Sie erzählte von ihrer Erbschaft, sie erzählte, wie ihr der Rechtsanwalt zu Beginn ihrer Reise abhanden gekommen war, und dann fragte sie Harry, ob er sie nicht begleiten wolle.
VIII
Harry wusste nicht, ob er sich in seinem Leben schon jemals so gefürchtet hatte wie in dem Augenblick, als er dem chinesischen Grenzbeamten gegenüberstand. Dieser saß in einer kleinen, quadratischen Kabine, hielt den Pass in der Hand und musterte ihn eindringlich mit unbeweglicher Miene. Dann schob er das Dokument durch ein Prüfgerät, musterte Harry wieder und rief nach einem anderen Uniformierten, der soeben an der langen Kabinenreihe der Zollbeamten vorbeiging, hinter denen sich durch mehrere ankommende Flugzeuge lange Schlangen von Einreisewilligen gebildet hatten. Die beiden unterhielten sich in einer Sprache, die Harry wie ein bedrohlicher Singsang vorkam. Dann zogen sie den Pass noch einmal durch das Gerät.
Vier Augen musterten ihn von oben bis unten. Sicher hatten sie Verdacht geschöpft! Harry bemühte sich, gelassen zu bleiben. Keine Panik! Jetzt nur nicht die Luft anhalten, blau anlaufen und ohnmächtig zu Boden stürzen. Ruhig weiteratmen.
Der Beamte beugte sich bedrohlich nach vorne … und dann schob er den Pass über das
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