Liebe in groben Zügen
eine Zunge, ein Fragezeichen; darüber halbe Zelte aus hängenden Unterröcken, schwarz oder fleischfarben, und die Verkäuferinnen faltige Schönheiten, heiser lachend, immer ihr Telefonino und eine dünne Frauenzigarette zwischen den Fingern. Bühl ging von Stand zu Stand, und ein verblasstes Bild des Weiblichen nahm wieder Farbe an. Jemand tippte ihm an die Schulter, zweimal leicht, wie ein sachtes Anklopfen.
Vilas Flug nach Frankfurt mit Anschluss Orlando ging erst gegen Mittag, eine Stunde blieb ihr noch, Zeit genug für den Markt. Unser Ort, sagte sie – keine Camper, also auch keine Holländer, dafür umso mehr Melancholie, wenn der Sommer vorbei ist. Bald kommen die Busse mit den Alten, das Publikum für die Schwäne, Scharen in Beige, die Capes, die Schirme, die Schuhe. Soll ich Sie nach oben fahren? Der Jeep steht vor der Farmacìa, der Apotheker ist unser Komplize, er weiß genau, woran Renz und ich leiden, wenn wir zu lange hier sind, er macht die Cremes mit Cortison alle selbst! Vila nahm die Tüte mit den Einkäufen, sie führte Bühl zu dem Jeep, einem alten Suzuki, und fuhr durch den Hohlweg zum Haus, sechzig Höhenmeter über dem Ort und dem See.
Das Gartentor stand auf, ebenso die Haustür. Vilas Gepäck war schon im Eingang, ein Koffer, eine Tasche; am Garderobenspiegel mit Tesafilm befestigt ihre Liste der zu beachtenden Dinge in Haus und Garten. Gehen wir’s gleich durch? Sie löste das Blatt und reichte es Bühl, ohne es loszulassen, er überflog die hervorgehobenen Punkte. Entnommene Bücher wieder zurückstellen. Die Bilder nicht der Sonne aussetzen. Täglich Ameisen bekämpfen. Topfpflanzen ins Haus, wenn es friert, die Zitronenbäume einpacken, Folie im Schuppen. Den Heizungsdruck kontrollieren (nicht höher als eins fünf!), jede Woche die Wasseruhr ablesen. Beim Verlassen des Hauses alle Läden schließen, Gas abdrehen, Gartentor zuziehen. Streunende Katzen gelegentlich füttern (nichts Gesalzenes), auch für Vogelfutter sorgen. Auf Mülltrennung achten, die Tonne für Umido (Speiseabfall) gut geschlossen halten. Den Briefkasten leeren, nichts wegwerfen, auch keine Werbung. Und nie den Hausschlüssel von innen stecken lassen, nie!
Renz kam von der Terrasse in den Wohnraum, ein Telefon am Ohr; er winkte Bühl zu, und Bühl winkte zurück, dazwischen Vila, die Hände unterm Kinn. Mein Mann spricht mit seiner neuen Producerin, die taucht morgen hier zum Arbeiten auf. Sie bleibt eine Nacht, dann bringt er sie nach München, und das Haus gehört Ihnen. Oder wollen Sie gern heute schon einziehen? Fast eine suggestive Frage, und die Antwort nur Kopfschütteln; Bühl stand jetzt vor einem der Bilder, einem Venedig-Motiv, Tusche und Bleistift, die Lagune wie eine intime Haut. Renz ging an ihm vorbei, in der Hand den Schiffsfahrplan für den See, er ging wieder nach draußen. Vila schloss die Terrassentür – letzte Nacht war Renz noch in ihr Zimmer gekommen, der Wintermieter beschäftigte ihn, sein Haar, sein Bart, die melodische Stimme. Der werde hier auffallen im Ort, sagte er und hätte ihn am liebsten zum Friseur geschickt; ohne Bart wäre er zwar immer noch ein komischer Heiliger, nur kein Typ mehr, nach dem sich die Leute umdrehten. Renz störte sich an etwas, das sie mit Schwung übersah. Sie sah mehr die Augen, den Mund, den Gang und fand ihn weder heilig noch komisch, eher etwas unheilig.
Producerin, was heißt das, fragte Bühl, und sie warf einen Blick auf ihre Uhr, eine kleine Reverso, die sie locker gebunden trug, das erste größere Geschenk von Renz: zu ihrem Vierzigsten, als Katrin in den schrecklichsten Jahren war, ein fluguntauglicher Vogel, und sie in den besten, eine Falkin. Producerin heißt eigentlich gar nichts, sagte sie und riss die Terrassentür auf, Wir müssen los! Und unser Mieter möchte gern wissen, was eine Producerin hier am See zu tun hat! Vila lief in die Garderobe, sie zog ihre Reisejacke an, als Renz wieder hereinkam, das Telefon in der hängenden Hand.
Die Mattrainer, rief er, will mir die Pathologinnenserie erklären, und sie kommt freundlicherweise mit einer Liste der schon angewandten Tötungsarten, damit die schöne Pathologin ja nicht zweimal vor demselben Rätsel steht! Er sah zu Bühl, als sollte der ihm zustimmen, und Vila, während sie ihr Gepäck vors Haus stellte: Es gibt keine schönen Pathologinnen, sie sind alle hager und blass, es gibt höchstens schöne Producerinnen, auch wenn sie qualmen! Ein Wort, das noch nachschwang, als sie auf
Weitere Kostenlose Bücher