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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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in der Schule oder zu Hause. Die Straße erst abends, wenn man das Hässliche weniger sieht. Frankfurt ist voller Narben, die Hochhäuser täuschen darüber hinweg. Und zu Frage zwei: Ich bleibe gern in dem Hotel. Trinken wir den Grappa unter meinem Balkon.
    Das wäre dann an unserem Lieblingstisch, sagte Renz. Er legte seinem Mieter eine Hand in den Rücken, und sie gingen an den Tisch, der frei war, wie die meisten Außentische an dem windigen Abend. Vila und ich essen hier einmal in der Woche, der Tisch mit dem besten Blick. An klaren Abenden bis hinüber zur Insel, auf der schon Ihr heiliger Franz war. Und über den wollen Sie schreiben? Renz bestellte zwei Grappa Amarone und rückte ein Stück näher an Bühl heran, wie für eine Eroberung. Was ist Ihre These, Franziskus, ein Mensch wie du und ich? Oder ein Heiliger, den wir heute kaum noch begreifen können? Was wissen Sie über ihn?
    Das Wenige, das man überhaupt wissen kann. So gut wie nichts – Bühl lehnte sich zurück, er sah auf die unruhigen Masten im Hafen –, also bleiben nur Vermutungen. Franz fühlte sich wohl zu Frauen hingezogen und ist ihnen ausgewichen, wenn möglich. Eine dieser Frauen war seine liebste Ordensschwester Klara. Franz und Klara waren gewissermaßen ein Paar. Über das ich nicht mehr weiß als über Sie und Ihre Frau. Aber man kann auch aus dem Leeren schöpfen.
    Dann wird das ein Roman, sagte Renz, als der Ober zwei Gläser auf den Tisch stellte, der Grappa bernsteinfarben. Er stieß sein Glas an das von Bühl: Auf Franz und Klara!
    Ein Roman? Bühl nippte nur, er behielt das Glas am Mund. Franz und Klara waren wie Bruder und Schwester, nur waren sie auch Mann und Frau. Und es stellt sich die Frage der Differenz, von der man nichts weiß. Aber schon Thomas von Celano, der als Erster Franz’ Leben aufschrieb, eine Generation nach ihm, konnte sich nur auf Erzählungen stützen. Die er dann verklärt hat. Also muss man es rückverdüstern. Franz hat gestunken, ein Landstreicher. Seine Augen waren blutig, zwei überreife Beeren. Auch Klara dürfte gestunken haben, von faulen Zähnen, offenen Füßen. Und beide trugen an einer namenlosen Schuld, an etwas, das letztlich nie gesühnt und nie vergeben werden kann, die Sehnsucht nacheinander. Klara wäre heute vielleicht bei der Drogenhilfe, nach der Arbeit eine einsame Frau, die mit ihrem blonden Haar in der Kälte vor einem Lokal steht und raucht. Und Franz wäre bei Greenpeace.
    Also etwas fürs Fernsehen, ein schöner Zweiteiler, könnten Sie sich das vorstellen? Renz sah seinen Mieter an, ein Headhunter-Blick, den Bühl übersah; er trank jetzt erst den Grappa, mit einem Zug, er stellte das Glas in die Tischmitte, sein Zeichen zum Aufbruch, und Renz holte einen Gästeschlüsselbund aus seiner Jacke und übergab ihn: Falls wir uns hier nicht mehr sehen. Was ich sehr bedauern würde. Mich interessiert, was Sie machen – Franz und Klara, das wäre Hauptprogramm, gleich nach Neujahr. Und wie gesagt, Sie stören nicht, wenn ich im Haus mit jemandem arbeite. Aber Ihr Hotelzimmer hat natürlich seinen eigenen Reiz, wenn man sich etwas aus Büchern macht. Sie wissen, dass André Gide in dem Zimmer sterben wollte und es nicht funktioniert hat? Ich sehe mit einer Art Verzweiflung den Sommer enden, heißt es in seinem Tagebuch.
    Ein Hinweis, mit dem es nicht leichter wurde, in dieser Nacht besser zu schlafen als in der ersten. Bühl stand mehrmals auf und trat auf den Balkon, wie es der berühmte Vorbewohner vielleicht auch getan hatte, als er nicht schlafen konnte. Das Zimmer lag im zweiten Stock, an der dem See zugewandten Hotelecke, und der Holzbalkon war das einzig Alte an dem Ganzen mit der Nummer hundertdreiundzwanzig an der Tür. In dem Zimmer des Dichters, wie es auf der Hotel-Website hieß, unter Schleiflack mit lieblicher Blumenbemalung verschwunden. Und wer sich ins Bett legte, dachte eher an die Paare, die sich dort schon umarmt hatten, als an einen vogelgesichtigen Greis oder weltlichen Abt, gehüllt in eine Wolldecke, sein Tagebuch auf den Knien, ein altes Foto in einer Ausgabe von Gides Stirb und werde, einem Buch, aus dem er sich einiges machte – wie auch aus vielen anderen Büchern, an die er gekommen war, weil eines Abends ein neuer Mitschüler, seine Initialen auf dem Hemd, CKS, das Internatszimmer in Aarlingen betreten hatte. Ein stummer Auftritt, in der einen Hand eine Sporttasche, in der anderen Zigaretten und Feuerzeug, schlecht verborgen, weil die Hand noch schmal

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