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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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war, dafür hatte sein Blick durch die feine runde Brille schon etwas von künftiger Cleverness, besonders mit einem Objekt der Überheblichkeit in der Hand. Das Feuerzeug war ein Dupont, und der kaum Dreizehnjährige legte es auf den Tisch am Fenster, setzte seine Tasche ab und machte sich bekannt, als wollte er ein Geschäft abschließen: Kilian-Siedenburg. Dann öffnete er die Sporttasche und entnahm ihr nicht etwa Polohemden oder einen Tennisschläger, sondern zwei Dutzend Bücher, die er neben das Feuerzeug auf den Tisch legte. Bedien dich, sagte er und griff ein Buch heraus, Conrads Herz der Finsternis, auf dem Umschlag ein gewundener Fluss; er schlug es auf und holte, wie anstelle eines Lesezeichens, einen Geldschein aus den Seiten, fünfzig Mark, und steckte ihn ein. Die Erklärung dazu in knappen Worten, während er von den Zigaretten, Roth-Händle, eine halb aus der Packung schnippte und sie ihm, Bühl, vor den Mund hielt, wie eine Übung für kommende Dinge, das Teilen von Geheimnissen oder einer Flasche Bier. Sein Vater war der Schriftsteller Hans-Georg Kilian, damals noch mit Schwierigem erfolgreich, und der bezahlte den Sohn für das Lesen guter Bücher, und der Sohn war bereit, sie weiterzugeben, wenn man ihm den Inhalt zusammenfasste. Er aber, baldiger Empfänger und Leser aller Bücher, nahm die Köderzigarette, und Kilian-Siedenburg – zuerst bei der Mutter aufgewachsen, bis die sich nach Indien abgesetzt hatte – ließ den Überheblichkeitsgegenstand aufschnappen und gab ihm hinter schützender Hand Feuer, Geburtsmoment ihrer Freundschaft. Danach sie beide am Fenster mit Blick über den Untersee, auf der anderen Seite die Schweiz, rauchend hinausgebeugt, so konnte man die verbotene Zigarette in den Hof fallen lassen, wenn ein Erzieher hereinkäme. Und, schon mal in New York gewesen, fragte der Neue zwischen zwei Zügen, worauf von ihm, dem Mitraucher, ein Nein kam, nein, nur in Assisi, und der in Wahrheit noch gar nicht Weitgereistere zeigte beim langsamen Ausblasen des Rauchs bereits im Ansatz das Lächeln, das einen Menschen dazu bringt, einem anderen, wildfremden Menschen zu trauen. Naja, das läuft nicht davon, sagte er. Und Assisi, was ist da abends so los?
    DAS Traghetto, ganzjährig verkehrende Fähre zwischen Maderno und Torri, war nach der Mittagspause wie eine überfüllte Arche, Familien in ihren Autos, Wanderer mit Stöcken, ganze Gruppen auf Mountainbikes, und kaum war die Rampe zur Mole gelegt (am südlichen Ortseingang von Torri), drängten alle von Bord, unter den Nachzüglern eine Frau mit Sonnenbrille und halblangem blondem Haar, das bei jedem Schritt wippte. Sie trug einen leichten Mantel und hielt in der einen Hand eine Reisetasche, in der anderen eine Zigarette: ein schönes Bild der Ankunft durch ein Fernglas gesehen, fast ein Stück Kino, als sie sich auch noch die Sonnenbrille ins Haar schob, um dann mit der Zigarettenhand zaghaft zu winken, eher wie bei einem Abschied, bis sie die Zigarette einfach zu Boden fallen ließ, ohne sie noch auszutreten, und einen Fuß vor den anderen setzte, den Kopf leicht geneigt. Bühl brauchte jetzt kein Fernglas mehr – eins für Segler mit stabilem Bild aus dem Optikerladen von Torri –, alles Weitere ließ sich mit bloßem Auge erkennen: Renz, der aus einem großen schwarzen Wagen stieg, sonst wohl in der Garage hinter dem Haus, und auf die Frau im Mantel zuging. Er begrüßte sie mit Wangenkuss, nahm ihr das Gepäck ab und verstaute es im Kofferraum, während sie schon vorn einstieg; Renz schloss noch, nach Chauffeurart, die Beifahrertür, lief um den Wagen herum, setzte sich hinters Steuer und fuhr davon, Ende der Szene. Bühl steckte das Fernglas ein und verließ seinen Standort zwischen Weiden am Seeufer.
    Die Frau mit fallen gelassener und nicht ausgetretener Zigarette war die, die er als Schüler im strömenden Regen geküsst hatte, und war es nicht. Sie war es dem Namen und ihrem Aussehen nach, aber sie war es nicht in ihm – er hätte mehr erschrecken müssen oder gebannter hinsehen, es kaum fassen können und müsste noch immer fassungslos sein, aber er war so ruhig auf dem Weg in den Ort wie bei seinem Gang hinter den Särgen der Eltern. Die waren tot, weil sie sich ein schnelles Auto gekauft hatten, und Marlies gab es noch, weil man mit Anfang vierzig eben noch lebt und im Beruf steckt, und wenn man mit Fernsehserien zu tun hat, auf einen wie Renz trifft. Es gab nur Grund für ein gewisses Erstaunen, sieh an, wer da

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