Liebe in groben Zügen
der Senkrechten, bis sie zur Seite fiel, aufs Wasser klatschte, sich funkelnd drehte und verschwand. Die Schnur lief wieder nach unten, nur langsamer. He’s getting tired! Renz hob einen Daumen, und der Skipper winkte ab, No, Sir. Mit höflicher Verachtung kam das, als sei er trotz allem auf Seiten des Fischs, und dann sirrte es erneut, die Schnur schoss davon, nun parallel zum Boot, das sich in die Sonne drehte: ein Anprall von Licht, der Vila zu viel war. Sie trat in den Schatten unter dem Deckdach, und die Japanerin stellte sich zu ihr, eine Art Bewachung, damit die Männer unter sich wären.
Poor fish, sagte Vila, ein erster Kontaktversuch, über die Anteilnahme, das Mitleid, und von der Japanerin nichts als Nicken, förmlich, als hätte sie das Wort poor nicht verstanden, also sagte sie nur Fish und schaute bekümmert, darauf weiteres Nicken und auch ein förmlicher Blick unter den japanischen Lidern (die allein Renz etwas sagten); der Versuch war gescheitert, und sie trat zu den Männern, die nicht gestört werden sollten. Was willst du mit dem Fisch, ihn mit nach Frankfurt nehmen? Vila kickte gegen das Messer auf dem Boden, es rutschte Renz vor die Füße, er hielt jetzt die ruckende Rute in beiden Händen, ihr Ende durch eine Kette mit der Reling verbunden, für den Fisch gab es kein Entkommen. Der Japaner rief seiner jungen Frau etwas zu, knappe Worte, die nach Respekt klangen, und sie fotografierte die Männergruppe. Vilas Telefon summte, eine Nachricht, und sie wandte sich ab und sah auf das Display. Tun wir es also, stand da, und gemeint war das Lieben, das Bühl nie in den Mund nahm. He’s coming again, rief Vincent, und sie sah ein Schillern, den sich wälzenden, noch immer um sein Leben kämpfenden Fisch von der Masse eines Jungen, ihres Sohns, wenn er heute Geburtstag hätte, ein Elfjähriger von hundert Pfund. Jeder beugte sich jetzt über die Reling, um das Schäumen und Schillern zu sehen, und dann spritzte das Wasser auf und im nächsten Moment schon das Schwertmaul mit Haken darin, die Fischaugen wie dunkles Glas, weit und rund, und der Skipper griff zu einer Enterstange, sein Gehilfe zu der Keule, die Japanerin hob ihre Kamera. Alles schien nun seinen Gang zu gehen, unaufhaltsam wie bei einer Hinrichtung; der Fisch schlug um sich, seine Flosse traf knallend die Bordwand, Renz konnte die Rute kaum halten, Carlsberg fasste mit an, zwei Mann gegen die Kräfte im Wasser, die Schnur jetzt ein Pfeil, und jeder rief irgendetwas: was zu tun sei, was zu lassen, dazwischen Vilas Stimme, Glückwunsch, Renz, macht es Spaß?, fast ruhige Worte in dem Durcheinander, ein anderer Ton, und Renz bückte sich nach dem Messer und ließ die Hand hochschnellen, die Klinge gegen das gespannte Nylon, das sofort durchtrennt war.
Und Stille im selben Augenblick, kein Knallen mehr gegen das Boot, kein Gerufe, nur Renz’ Atem; er hielt noch die Angel, der Schnurrest pendelnd im Wind. Vila? Renz sah sich um, sein rotes Gesicht schien zu platzen. Loslassen, sagte er, man muss es üben, was meinst du? Er übergab dem Skippergehilfen die Penn und ging auf die andere Deckseite. Dort beugte er sich über die Reling, als wollte er dem Fisch etwas hinterherrufen, während Vila sich zu ihm stellte, die Frau zu ihrem Mann. Und beide sahen sie aufs Meer und lieferten den einen erhabenen Moment jeder Katastrophe: für die Japanerin mit ihrer Wedding-Leica, als sie das unbegreifliche Paar aufnahm.
*
XI
FÜR Liebende gelten zwei Zeiten, die ihnen gewährte und die erkämpfte, die Zeit, die man anderen nimmt. Liebende sind Zeitpiraten, auch wenn die Beute oft nur aus ein paar Worten besteht (Tun wir es also) oder zwei zugesandten Fotos, auf dem einen das erschöpfte, aber schöne Gesicht der Geliebten, auf dem anderen ein dunkelhäutiger Mann, der Köder auf einen Angelhaken zieht, im Hintergrund das Meer, ein doppelter Hinweis: die Geliebte weit entfernt und doch nah.
Bühl hatte die beiden Fotos ausgedruckt, sie lagen auf dem Esstisch im Wohnraum, neben Fotos von Kilian-Siedenburg, alten und neuen, die neuen aus dem Internet im Zusammenhang mit dem Bestreben, in den dunklen Welten des Missbrauchs das eigene Licht leuchten zu lassen. Die Fotos waren auf einem Stoß von Artikeln zum selben Thema, und weil es ein großer Tisch war und Bühl nur eine Ecke brauchte zum Essen, hatten noch andere Fotos darauf Platz, das von Marlies Mattrainer als fatalem rauchendem Mädchen im Ruderboot, ein Foto, das er bei seinem kurzen
Weitere Kostenlose Bücher