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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Abend, wenn originelle Leute zum Telefonieren aufgelegt sind und sie ihre intime Stimme einsetzen konnte, die Stimme, mit der sie halb flüsternd die Mail las.
    Sommer im Topino, eine stehende Luft in der Hütte, vom Lager am Boden Franz’ Atemstöße, wie von einer Gebärenden, die mit den Wehen kämpft. Klara weicht kaum noch von seiner Seite. Sie gibt ihm Wasser aus einer Schale und füttert ihn mit Beeren, wenn das Abendlicht durch die Ritzen fällt und sie seinen Mund erkennt. Einzeln zerdrückt sie ihm die Beeren zwischen den Lippen, bis er sie schlucken kann, Tag für Tag. Franz sieht sie nicht, er hört sie nur und spürt die Hand am Mund und auch etwas im Nacken – Klara stützt seinen Kopf, damit er sich nicht verschluckt. Sie erzählt von San Damiano, was sie dort alles verbessert habe, die Verteilung der Arbeiten, den Zugang zum Brunnen, das Refektorium, seine löchrige Decke, den Gemüsegarten, die Tränke für die Vögel. Franz kennt die Geschichten und hört dennoch zu, jeden Abend, bis er in der Stunde vor einem Gewitter, die Luft kaum erträglich, ein dampfender Schwamm, auf einmal selbst etwas erzählt, so leise, daß Klara sich über ihn beugt. Die Schlacht auf den Tibersandbänken: Der andere, der ich war, hat dort getötet, flüstert er. Sein Schwert stach in Hälse und trennte Glieder ab, es war voller Blut, bevor ihn ein Haken traf. Und nach der Schlacht das Jahr in den Kerkern Perugias, an die Freunde gekettet, Leib an Leib, dort hat der andere, der ich war, im Bitteren das Süße erlebt, den Freund im Arm gehalten, wenn nachts mit der Kälte die Mäuse kamen. Überall Rascheln und Knistern und bald ein leises Klirren der Ketten, und statt Schlaf war da Stöhnen und Weinen, gegen das einzig mein Halten half – wozu sind unsere Hände da? Nur um ein Feld zu bestellen und den, der es verwüsten will, zu töten? Und wozu unser Mund, nur um zu beten oder zu essen? Ich habe auch anderes getan. Wenn der Sommer vorbei ist, sollen mich die Brüder nach Hause bringen. Man soll auf der Portiuncula, meinem liebsten Stück Erde, einen Ort vorbereiten, daß ich dort noch Briefe diktieren kann, ehe Bruder Tod meine Hand nimmt. Alles muß gerichtet sein und alles in Fußnähe zu meiner Trösterin: Ich kann sie rufen, wie ich sie hier rufe, und sie kommt – auch wenn es noch eine andere gibt, die mich trösten soll, mit einer Honigspeise, die sie mir oft bereitet hat. Und meine Schwester, wird sie dennoch kommen, wenn ich rufe? Franz reißt die Augen auf, er will etwas sehen und wendet sich Klara zu, nie zuvor hat er ihren Blick so gesucht, und sie streift sich die Haube zurück, die Hände eilen ihr davon, eine Bewegung im Halbdunkel, als erste Windstöße über die Hütte gehen. Ja, deine Schwester wird kommen, wenn du sie rufst. Sie legt es nicht auf die Waage, wenn einer im Fieber spricht! Klara hebt die Stimme, weil schon ein Blitz den Himmel teilt, sein Schein dringt bis in die Hütte, beide sehen einen Herzschlag den anderen.
    Vila nahm ihre Brille ab – schmale Gläser, schwarzer Rahmen, dünn, aber nicht aus Metall –, eine Brille nur für den Bildschirm, die sie erst seit einigen Tagen hatte, und jeder, der in ihr Büro kam, sie zum ersten Mal damit sah, machte ein Kompliment, wie scharf oder schick die Brille sei. Aber ihre Brille war gar nichts, höchstens gut angepasst für den Schirm, und alles andere, das war sie, aber das sagte keiner. Sie druckte die Bühlseiten aus und bekam schon die nächste Mail, jetzt die neue Arbeit betreffend; erst gestern hatte sie den Mailänder Journalisten Flaiano angeschrieben, für viele der unerschrockenste Italiener mit seinen Artikeln über den Fußball, die Mafia und das private Fernsehen einschließlich Berlusconi und Co., eine Generalabrechnung mit dem italienischen Männerfreundesystem, und seine Antwort war ein erster Erfolg, er war bereit, in die geplante Sendung zu kommen, und wollte auch seinerseits vorher ein Treffen, Ende April oder Anfang Mai, davon hing die Zusage ab – Cordiali saluti, Michele Flaiano. Also ein, zwei Tage Mailand, und das hieß auch, ein, zwei Nächte, ihr geheimer Erfolg.
    Sie setzte die Brille noch einmal auf und schrieb dem Mutigen gleich zurück, dann schob sie ihn ganz oben auf die Kandidatenliste. An zweiter Stelle stand ein Sexualstraftäter, auf Druck des Europäischen Gerichtshofs aus der Sicherheitsverwahrung entlassen, er wurde rund um die Uhr bewacht und durfte sich keiner Frau nähern, höchstens eine Frau sich

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