Liebe in groben Zügen
ihm, sie nämlich für das Vorgespräch – ein Mann aus der Nähe von Kassel, in jedem Fall kostengünstiger als der Journalist aus Mailand, da hieß es, Argumente finden. Sie nahm endgültig die neue Brille ab für diesen Bürotag, steckte Bühls Seiten ein und fuhr nach Hause; Renz war in Köln, es ging um die Seearztserie: wie dumm das Ganze sein musste und wie witzig oder gescheit es allenfalls sein durfte. Armer Renz. Aber das war nur ein Sekundengedanke. Eigentlich arme Vila.
Die große Wohnung, die zu vielen Räume, die Stille selbst in der Küche, weil Elfi und Lutz im Skiurlaub waren, nicht in ihrer Küche umhergingen wie sonst. Sie machte sich etwas zu essen, Tortellini in Sahne – das Gericht, mit dem sie Katrin ernährt hatte, bis die sich selbst ernährte, Katrin, die seit kurzem in Brasilien war, vom Amazonasdelta skypend in Erscheinung trat, selbst schon irgendwie indianisch –, einen Teller voll Tortellini wie ein Breichen für Erwachsene, dazu noch einen geschenkten Wein, Nackenheimer Riesling, alles andere als ihre Sorte, aber sie trank ihn zum Essen und trank ihn noch, als sie später mit ihrem Notebook im Bett saß, bei einer alten Abba-Platte gegen die Stille. Sie hatte das Gardesana am Hafen von Torri auf dem Schirm und sah nach, ob im Sommer noch ein bestimmtes Zimmer frei war, das Eckbalkonzimmer, das André Gide bewohnt hatte und das Bühl ja schon kannte, und es war noch frei, bis auf einige Tage den ganzen Juli und August, erst im September war es durchgängig belegt, und sie mailte ihm, dass es die Möglichkeit gebe, sich im Sommer öfter zu sehen, in dem Eckbalkonzimmer am Hafen, nur sollte man es gleich reservieren, am besten noch heute, und Unterried: muss da nicht auch reserviert werden? Wir haben schon Februar, und zwei Wochen Vorlauf müssen sein – tut mir leid, so viel Vernunft, dafür liegen deine Seiten auf meinem Nachttisch, Franz und Klara: Ich glaube, sie liebt ihn! Eine Mail, die sich wie von selbst schrieb, in der Art, wie sie sich manchmal vertippte und etwas ganz Neues herauskam, ein noch nie da gewesenes Wort, und bei dem Mausklick auf Senden konnte sie kaum die Hand ruhig halten. Blieb noch, ihr Gerät zu schließen, es wegzulegen, auf die Seiten über das längst tote Paar, und das Licht auszumachen; im Zimmer war die Heizung abgestellt, aber ihre Decke war dick, und sie zog den Schlafanzug aus und lag eine Weile nur auf dem Bauch, mit Wange in der Ellbogenmulde, ein Nacktsein wie eine Wunde, die versorgt werden will, untersucht, gereinigt, verbunden – war sie krank, neben der Spur, von allen guten Geistern verlassen oder nur von denen, die Elfi und Heide, Anne oder Marion Engler schützten? Sie suchte ihr Zeug im Bett, das Oberteil mit dem kleinen Ausschnitt, die Hose mit Kordel am Bund, sie zog es wieder an und drehte sich zur Seite, nur schwach geschützt von der Baumwollhaut, den Rest übernahmen die Stoffe, die auch Schmerzen erträglicher machen oder den Schlaf schicken. Und am anderen Morgen Bühls Antwort, wie eine Reaktion auf ihr nächtliches Wundsein, die Heilung in Zahlen: von wann bis wann er in Torri gebucht hatte und wann in seinem Ort – das erste Märzwochenende ab Donnerstag, zur späten Fasnet in dem Jahr, ein Zimmer im Goldenen Adler.
WIE vergeht ein Monat, auch wenn es der kürzeste im Jahr ist, wie lässt sich Woche für Woche verstecken, dass man liebt, auf eine lachhaft bildliche Weise verrückt ist, viel mehr närrisch als bedenklich, wie ein Vorziehen der Narrenfasnet, die dem Warten ein Ende macht: keine konkreten Gedanken, nur eine gedankliche Verfassung, Vilas Allgemeinzustand.
Ihr einziger Halt, der Winterrhythmus, er setzte sich einfach fort, an einem Samstag kamen die Hollmanns, nach wie vor mit Blumen, dazu Heide und Jörg, damit es nicht nur um Ines Hollmanns Biennale-Eindrücke aus dem letzten Sommer ging, auch noch vor dem Hintergrund ihrer kindertherapeutischen Arbeit, und Heide und Jörg konnten mit Mallorcadingen dagegenhalten, die neuen Galerien in Palma, die Grundstückspreise in ihrem Tal; den Rest besorgten der Nachtisch, ihre Zabaione, und am Ende der Grappa. An einem anderen Wochenende dann die Englers, Marion wie immer auf ihrer, der Frauenseite, ohne dass sie irgendetwas angedeutet hätte, aber es schien ihr im Gesicht zu stehen, das Warten, wie bis vor kurzem die Anspannung vor einer Aufzeichnung, nur gab es da Helge, den Visagisten, auch der fehlte ihr. Später kamen noch Elfi und Lutz dazu, ein langer Abend,
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