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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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ihn Wunder vollbringen ließ: aus einem nach schlafloser Nacht zerdrückten Gesicht mit kleinen Augen, Furchen und Flecken wurde unter seinen Händen in Minuten das Gesicht, mit dem man sich selbst wieder mochte. Helge sah sie an, der Blick eines Freundes, er zog die Verschlüsse an seinem Koffer auf, Ich darf doch etwas tun für dich? Und dann stand er auch schon vor ihr, und sie ließ sich zurücksinken in ihrem Bürostuhl und schloss die Augen, wie in besten Zeiten der Mitternachtstipps, wenn Helge gar nichts vertuschen musste an ihr, sondern höchstens etwas hervorheben, das über Nacht oder die Tage, den Alltag mit Renz, abgesunken war. Kummer macht menschlich, sagte er, man gerät aus dem Konzept und blüht auf. Was ist passiert? Er cremte ihr die Wangen ein, nur mit zwei Fingerkuppen, und sie hörte sich schon sagen, was passiert war, aber es ging ihr gar nicht darum, einen Mitwisser zu haben; was sie eigentlich wollte, war ein Zeuge der Dinge mit Bühl, jemand, der ihr zurief: Es ist gut so! Ob er nicht weitermachen könnte, fragte sie, eine ganze Woche lang, bis zum dritten März. Geht das? Sie sah Helge an, und irgendwie schien es zu gehen: Ihr erschien es jedenfalls möglich, diese Woche in einer Art Betäubung hinter sich zu bringen, auch wenn Helge schon zu den Augen kam, weil seine Zeit knapp wurde. Mach sie wieder zu, sagte er, schlaf etwas. Ich befehle es dir.
    Der Visagist als Hypnotiseur, und die Folge ein Halbdämmer oder Wachschlaf, in ihrem Büro, auf dem Heimweg, allein im Bad oder mit Renz beim Kochen, beim Essen, einmal sogar im Bett, zwei Taumelnde in der Horizontale, entblößt, stumm, ergeben; ein vom Ich entlasteter Zustand, endend in dem Augenblick, als sie in Unterried vor dem Goldenen Adler aus einem Taxi stieg – der erste milde Märztag, überall Schneereste, halbweiße Dächer, letzte Eiszapfen, ein Tropfen und Gurgeln – und Bühl aus dem alten Gasthof trat.
    SIE hatte ihn größer in Erinnerung gehabt, größer und auch jungenhafter, vielleicht nach dem Abschied im Hauptbahnhof, sie von jeher klein bei Bahnhofsabschieden; sein Gesicht erschien ihr älter als in Frankfurt, weniger ein Alter der Jahre, der Falten und Lesebrillen, eher ein Alter, wie es manche, sie oder Renz, kaum je erreichen, das der Gewissheiten, der knappen Worte. Ich bin, wie ich bin, ertrage es oder geh.
    Er kam auf sie zu und nahm ihr den Koffer ab, kein Fremder, aber einer, den sie verlegen auf den Mundwinkel küsste. Dann folgte sie ihm in den Gasthof, und dort war Ruhetag, er hatte die Schlüssel, ein Gang im Halbdunkel über Dielen und eine knarrende Treppe zum ersten Stock, vorbei an Urkunden von Brauereien und Gastwirteverband, lange vor ihrer Zeit, eine Männerwelt, ebenso das Zimmer, in das sie kam, die Decke niedrig, das Bett massiv, an der Wand gegenüber ein Flachbildfernseher, teils verhängt mit Bühls Kleidung; und auf einer Betthälfte seine Blätter, sein Notebook. Er war hier schon zu Hause, und sie ging ins Bad – der Drehriegel leicht klemmend, fast wie in der Schadowstraße, das Abschließen ein Reflex. Sie kam dagegen nicht an, so wenig wie gegen den Eindruck, dass der, dessen Zahnbürste schon im Bad lag, nicht ganz der war, den sie mit sich herumgetragen hatte, in Frankfurt, in Jamaika, im Flugzeug, im Zug, ja noch im Taxi von Freiburg nach Unterried; sie kam nur gegen ihr Haar an, das frisierte sie schnell, und gegen das Blasse der Lippen, die zog sie nach, Dinge, die sie schon mit sechzehn, siebzehn gemacht hatte, jetzt wieder mit demselben Bangen. Und natürlich hätte sie auch gleich duschen können, mit Renz das Normalste, mit Bühl nicht. Sie sah auf ihre kleine Reverso, die hatte sie dabei, nicht die Not-Swatch von Katrin, es war gleich sechs und wurde langsam dunkel, aber noch konnte man den Ort anschauen, sich dort orientieren. Laufen wir ein Stück, sagte sie beim Heraustreten aus dem Bad, und Bühl sagte etwas ganz anderes, Sören Kampe, der junge Veteran, ist tot. Ich habe unseren Havanna-Führer hier gestern getroffen, in seinem Ort, er hat es erzählt. Spiegelhalter wurde ausgewiesen, sein Gehilfe ebenfalls, nur wollte Kampe nicht weg von den Deutschkursmädchen, für die es keine Rolle spielt, ob er zwei Beine hat oder nur eins. Er hat sich aus dem Fenster gestürzt, gegenüber vom Plaza-Hotel. Was möchtest du sehen in Unterried? Es gibt ein ehemaliges Kloster, in dem Garten grasen jetzt Lamas.
    Und diese zotteligen Tiere, die eigentlich in die Anden gehörten, waren

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