Liebe in groben Zügen
selbst, ein Loch: etwas, das in keinem Film, den sie begleitet hat, je vorkam. Weil Leere leer ist und keine neunzig Minuten füllt. Nur im Letzten Tango. Oder in Beruf Reporter. Oder in Fahrstuhl zum Schafott. Leere Typen, Wahnsinnsfilme. Einmal pro Jahr hat sie sich Brando in Paris und Jack Nicholson in der Wüste angesehen. Aber nie versucht, einen Film dieser Art auf den Weg zu bringen. Immer nur den Liebesmüll am Sonntagabend. Und Problemmüll am Mittwoch. Und Polizeimüll am Freitag. Verwicklungen, Konflikte, Mord. Und jetzt liegt sie hier und hat nicht einmal richtige Schmerzen, höchstens, was Ärzte Missempfindungen nennen. Sie ist eine einzige Missempfindung und will aus ihrer Haut, ihrem Fleisch, den Zellen. Andere fangen dann an zu trinken oder schlucken Tabletten, bringen sich irgendwie um, sie hat nur ihre Galakleidung zu Oxfam gebracht, diesem Laden, der all das in den Fenstern hat, von dem sich Leute aus besseren Gegenden wie von einer alten Haut getrennt haben, damit es noch einem guten Zweck dient. Und da sah sie ein paar Tage später auch ein paar ihrer Sachen, das schwarze Chiffonkleid vom Bayerischen Filmball an einem Torso in ihrer Größe, neunzehn Euro. Den Gucci-Anzug für Berlin, Goldene Kamera und Ähnliches. Ihren Schal von Dior Homme. Und den Blazer für Premieren, das feine Grau jetzt nur noch grau im Schaufensterlicht, ein helles, aber fahles Licht, fahl wie der ganze deutsche Glamour. Und zu dem Blazer ihre letzten Schuhe von Eileen Shields, die braucht sie auch nicht mehr. Am Ende reichen zwei Pullover und eine Jeans, etwas solide Wäsche und gute Laufschuhe. Und zuletzt reicht ein Schlafanzug, nur warm muss er sein, Flanell. Sie friert. Ein Frieren, das mit dem ersten Urteil über ihre Lunge – also Frau Mattrainer, Folgendes – angefangen hatte. Und in diesem wärmebedürftigen Zustand ist sie zu Renz an den See gefahren, wie die Frauen im Sonntagabendfilm nach Irland oder in die Toscana. Als wollte sie beweisen, dass an dem Müll etwas dran ist. Und die letzten gesunden Zellen hat sie für die idiotische Pathologinnenserie eingesetzt, ihre Idee: eine schöne Pathologin, die bei irgendwelchen angeschwemmten Wasserleichen die wahren Todesursachen entdeckt. Nur das innere Klaffen gehörte nicht dazu. Das Eigenloch, bestehend aus Versäumtem. Sie hat sich ihr Kind im Bauch aus dem Kopf geschlagen. Und jeden irgendwie besseren Stoff. Zu schwer, zu heftig, nicht zu besetzen, unrealistisch. Dabei wollte sie immer eine Frau zeigen, die sich leer fühlt und in Wahrheit an ihrer Fülle scheitert, voll erstickter Wünsche. Wie sie, die hier so still liegt und ganz real schreien könnte, die beste Besetzung: Marlies Mattrainer, die weiteratmet, auch wenn sie weiß, dass sie nie mehr umarmt werden wird, ihre Beine um einen Leib schlingt. Diesen Film wollte sie produzieren, über die Sehnsucht einer älteren Frau, ihren unsichtbaren letzten Sieg: nicht schon zu erkalten, bevor sie tot ist. Aber sie hat es gar nicht erst versucht. Sie hat nur gemacht, was die anderen in der Branche machen, Redaktionen von Müll überzeugen und Geld abschöpfen, Schauspielern einreden, dass sie Stars sind, und Autoren und Regisseuren die Luftschlösser austreiben. Aber das machte sie gut. Also wurde sie ernst genommen, auch von Leuten mit ersten Adressen, Berlin, Mommsenstraße, Hamburg, Jenfelder Allee und so weiter. Kollegen, die sicher mit Blumen vertreten sind, wenn sie unter die Erde kommt. Woran sie noch nicht ganz glaubt. Bisher war sie es immer, die eine Person sterben ließ, eins ihrer Lieblingsworte bei Buchgesprächen: Lass die mal sterben, die bringt nichts. Kill your darlings, sagt man in Hollywood. Nicht dass sie an Wunder glauben würde, wo sie doch nicht mal mehr richtig an Gott glaubt, den lieben Gott ihrer Alpenkindheit wie ein weiterer, über allem schwebender Großvater. Aber sie glaubt an ärztliche Irrtümer. Daran, dass man nicht alles weiß. Und ganz leer fühlt sie sich auch nicht, sie freut sich auf Renz. Sie will sogar schön sein für ihn und sollte sich die Haare waschen. Ihr blondes Haar, immer schon fettig nach zwei Tagen, und hier reicht eine Nacht, damit es aussieht wie das Haar einer Psychiatriepatientin. Für ihren einzigen Dreiteiler, eine Undercovergeschichte, hat sie in Berlin eine Psychiatrie besucht, auch die geschlossene Abteilung, um ein Bild zu bekommen, und eine Frau mit fettigem strähnigem Haar rief ihr vom Bett aus Ich friere! zu, typisch verrückt, weil es Sommer
Weitere Kostenlose Bücher