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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Sommer wird sie nichts davon lesen. Sie ist selbst am Kern des Lebens.
    BOOTSTAGE , Tage, an denen alles stimmt, der Himmel, der See, das Licht; sie gleichen einander in ihrem Glanz, den hellen Morgenden, den Hitzestunden, ihren Abenden im Dunst, das Wasser zittrig glatt, unwiderstehlich – Bühl war sich dessen bewusst, als Vila ihn nach Tagen, die sich durch ihr Gleichsein gesteigert hatten, morgens anrief. Er saß auf dem Balkon nach seinem Schwimmpensum, in der Hand die Gide-Tagebücher, ein Morgen wie die Stoffe, die sein Vater eingeführt hatte, dazu Vilas Stimme, im Hintergrund Vögel, sie war im Garten, ein hastiges Auf-ihn-Einreden: der absolute Bootstag, Renz nicht mehr zu halten, also kein Besuch bei ihm, unmöglich, aber morgen wieder, morgen bestimmt – sag etwas, hilf mir, hörst du mich? Und natürlich hörte er sie, sogar den Atem, und wünschte ihr einen schönen Tag, auch ohne dunkle Stunde mit ihm. Crem dich gut ein, sagte er noch, und später sah er sie durch das Fernglas, wie sie auf dem Bug lag in einem blauen Einteiler und bald im Sonnenlicht verschwand.
    Dunkle Stunde war nicht sein Wort, es war ihres, schon beim dritten Mal, vor ihm gebückt ins Kissen, Meine dunkle Stunde mit dir! Er hatte es dann umgekehrt, mit dem Kopf zwischen ihren Beinen, sein dunkler Stundenanteil; und als sie sich wieder anzog, kam sie auf seine Mail an Renz: wie leicht es ihm offenbar falle, einen anderen glauben zu machen, er sei sonst wo, in den umbrischen Bergen. Geradezu abgebrüht, Bühl! Darauf von ihm nur zwei Finger an ihrer Stirn, ein kurzer Druck, was denkst du von mir?, und als sie schon fast an der Tür ist, streift er ihr den Rock hoch, eine Umarmung im Stehen, ihr Ruf nach Gott oder wen sie in solchen Fällen meint, in seine Hand. Und beim nächsten Mal kein Wort darüber, überhaupt wenig Worte, nur am Anfang zu dem, was in der Welt passiert war, Grauenhaftes in Norwegen, über das Vila kaum reden konnte, nur Andeutungen über einen, der siebzig junge Leute auf einer Insel erschossen haben soll. Und dann dennoch ihr stummes Tun, damit sie am Ende erschöpft auseinandergehen konnten, auch etwas erleichtert, den Rest dieses Tages für sich zu haben.
    Bühl saß auf der Seeseite des Balkons, bis die Sonne nachmittags auf die Holzbrüstung traf, er las in dem Tagebuch; viel hatte Gide nicht in Torri geschrieben, keine zweieinhalb Seiten in einem ganzen Spätsommer, die längste Eintragung am dritten September achtundvierzig, die Schlusszeilen unterstrichen, eher feine Welle als ein fester Strich, die Markierung einer Frau – Ein unersättliches Bedürfnis, zu lieben und geliebt zu werden, das ist es, glaube ich, was mein Leben beherrscht, mich zum Schreiben gebracht hat; ein mystisches Bedürfnis noch dazu, fand ich mich doch damit ab, es bei Lebzeiten nicht erfüllt zu sehen. Ende. Und auf anderen Seiten noch mehr Unterstrichenes, mal ein Satz, mal ein Ausdruck; er las den ganzen Tag, erst auf dem Balkon, dann im Bett, bis er nichts Neues mehr fand. Danach ein bloßes Liegen in blutwarmer Schläfrigkeit, wie an Internatssonntagen, als sich Cornelius und er nach dem Schwimmen trocknen ließen, kaum etwas sagten, nur Dinge wie Den Faust schon gelesen? Das war für die Schule, ohne Geld, also war der Freund nervös, und er hatte ihn nicht hängenlassen, hatte das Ganze erzählt, und Cornelius warf dann im Deutsch-LK die großen Weltfragen auf, einer wie er ändert sich nicht.
    Erst als die Sonne am Abend aufs Bett schien, zog Bühl sich an und lief auf die Mole – das Boot lag noch nicht an seinem Platz, aber auch wenn Vila und Renz im Ort aufgetaucht wären, hätte er leicht ausweichen können bei nur einer Längsgasse und all den Quergässchen von der Straße zum See, wie eingeklemmt zwischen den Häusern, immer im Schatten unter Gewölben und Lauben; worauf es ankam, war, sich in der Hauptgasse zu bewegen, solange der andere am Ufer entlangging und umgekehrt. Er lief zum einzigen Imbiss, ließ sich eine Pizza einpacken und aß sie auf dem Balkon. Auch Tage ohne Umarmung gehen vorüber, wenn der Sommer alles an sich zieht, selbst das Grauen in der Welt noch aufsaugt.
    Und es war nur der Anfang einer ersten, bis in den August reichenden Folge von Tagen wie eingehüllt in den eigenen Glanz. Ihr Bogen begann für ihn mit dem Schwimmen am Morgen, der See muschelfarben, das Wasser noch eine Spur wärmer als die Luft, erste Sonnenstrahlen auf dem Berg gegenüber, seiner Kuppe mit dem Profil einer schlafenden

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