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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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ihm geschieht, es wendet den Kopf und sieht den Esel, sein geduldiges Warten, es sieht den Mincio fließen, salbeigrün. So vergeht diese Stunde der Stunden, die gottgestohlene Zeit. Nur das Ewige ist kostbarer als das Jetzt.
    DIE erste Augustwoche am See, jeder Tag noch erstickender als der Tag zuvor, jeder Abend noch unwirklicher in seinem Golddunst, ein Überschwang des Sommers, aber kein stiller. Abends jetzt Musik auf dem Platz am Hafen, mal ein Opernsänger, zweite Wahl, mal ein Schlagermensch in rotem Anzug, und am Wochenende eine junge Afrikanerin, begleitet von Schlagzeug und Bassist – Vila und Renz hörten ihr zu, wieder einmal am gewohnten Tisch unter dem Eckbalkon.
    Den ganzen Juli über hatte Vila Gründe gefunden, woanders zu essen, oben in Albisano oder weiter südlich am See in Lazise, einmal sogar in Verona nach Einkäufen und mehrfach auf der anderen Seite, in Gardone, in Gargnano, aber oft auch auf der Terrasse, häuslich, bis Renz den Abend am Hafen wollte. Er wollte das Treiben dort sehen, die alten Italienerpaare, aristokratische Pudel, und auch die junge Sängerin aus Äthiopien, eine Kinderbibelschönheit, und sie selbst hatte den Tisch dann schon Mitte der Woche bestellt, nachdem Bühl erneut zu einer Wanderung aufgebrochen war. Wir machen eine Pause: seine Worte an der Tür, ihr ins Haar gesprochen, und seitdem hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Sie wusste nur, dass er in die Bergdörfer auf der Westseite wollte, Orte hoch über dem See, und vorhatte, auch Strecken mit dem Schiff zu fahren, also nach einigen Tagen wohl wiederkäme, das Zimmer auch weiter bezahlte; und sie wusste, dass er Straßen mied und lieber über Steilhänge ging, und machte sich Sorgen, ein Zustand, der sich viel schlechter verbergen ließ als das Glück. Gibt es etwas, das ich nicht weiß? Scheinbar aus dem Nichts eine renzsche Frage nach dem gewohnten Trüffelrisotto, für sie mehr Überraschung als Schrecken: Es lag Renz ja gar nicht, eine Stimmung zu stören, noch weniger, einer Vorahnung auf den Grund zu gehen, ich spüre etwas, aber weiß nicht, was, weil du es geheim hältst, den Abgrund, in den ich irgendwann stürze. Was sollte das sein, fragte sie, und er sah in die Karte, die sie beide auswendig kannten. Willst du Nachtisch? Renz’ Blick ging über den Rand der Karte, auf ihren Mund, den Hals, den Ausschnitt. Sie wollte keinen Nachtisch, sie wollte gehen, also schrieb er Kringel in die Luft, sein übliches Zeichen, und der Kellner kam mit der Rechnung, sie legte Geld auf den Tisch; immer hatte sie das Geld, Renz trug wie ein Kind nie etwas bei sich, er versteckte das Sommergeld nur im Haus. Die Gide-Tagebücher, sagte er im Aufstehen, sind die bei dir, liest du darin? Er legte ihr eine Hand in den Rücken, und sie gingen durch die Gasse, ein Hin und Her von Pärchen und Hunden und alten Paaren, die Alten eingehängt, schmale blasse Frauen, ihr Gang auf der Abendbühne, die Eleganz gegen den Tod – das Italien, das sie liebte. Ja, die könnten bei mir sein, irgendwo, kennst du mein Chaos nicht? Sie streifte eine der jüngeren Frauen, die kaum etwas anhatten, während ihre Mütter noch fächelten gegen die Hitze, Renz griff ihr in den nassen Nacken: sein falsches Ja zu dem Chaos, von dem er letztlich nichts wusste. Oder lag Geld in den Bänden? Ich habe keins gefunden. Wie viel Verstecke gibt es in dem Jahr? Sie hakte sich bei Renz ein, damit sie wie die anderen Paare wären, aber auch um ihn zu lenken. Nur die alten, sagte er. Moby Dick und Anna Karenina. Gehen wir schon nach oben? Was ist los mit dir, du hast beim Essen kaum geredet, wollen wir morgen aufs Boot? Renz ließ sich jetzt ziehen, ein trödelnder Tourist, sie ging mit ihm in eine der Seitengassen, die zur Straße führten; das Boot, immer sein letzter Trumpf, als sei damit alles zu retten, auch sie noch in ihrem Chaos. Meinetwegen das Boot, sagte sie, da waren sie schon über die Straße und gingen an der Strada per Albisano bergan, und im Hohlweg hielt sich Renz an ihr, wie sie sich an ihm beim Hinuntergehen mit Ledersohlen, um auf den glatten Flusskieseln nicht wegzurutschen; Renz klammerte sich förmlich an ihren Arm, sein Gesicht dunkel vor Anstrengung in der steilen Windung des Wegs, zwischen den Steinmauern mit ihren Fossilien von Schnecken und Muscheln noch die ganze gestaute Hitze – eines Tages könnte er hier beim Anstieg zusammenbrechen, immer öfter jetzt dieses Bild: Renz, der im Hohlweg zusammenbricht, sich eine Hand aufs

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