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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Brüstung und einem Stück Himmel – das Neue in Vilas Leben, was könnte das sein? Ihm fehlt ein Bild dazu, etwas so in den Augen Brennendes wie bei Bradley Manning das flagrante Bordvideo vom Hasenschießen auf Unbewaffnete, er musste es weitergeben und versucht jetzt, in Einzelhaft den Verstand zu behalten bis zu seinem Prozess wegen Hochverrats, wie auch er den Verstand zu behalten versucht in dieser Nacht, aber unter idealen Umständen, frei auf dem Dach seines Hauses mit dem besten Blick, den es gibt, statt in einer fensterlosen Betonzelle, zwei mal zwei Meter. Manning, der weiße Kindersoldat, hat eine Stunde Bewegung am Tag, mit Fußketten in einem Kellergang, keine Vergünstigung, eine Maßnahme gegen Thrombosen. Dann wieder das Sitzen oder Stehen in dem Betonsarg und irgendwann vier Stunden Liegen. Er weiß nie, ob es Tag oder Nacht ist, für ihn gibt es weder Zeit noch Nähe, das Essen wird durch einen Spalt geschoben, die Notdurft unter dem Überwachungsauge verrichtet, nie eine beschützende Dunkelheit, immerzu Licht: nicht einmal er selbst kann sich nah kommen, kann zu sich gut sein, sich streicheln, um nicht verrückt zu werden und wie ein Headbanger den Kopf gegen die Wand zu schlagen, damit ihm der Schmerz die Zeit ersetze bis zum Prozess oder zur Stunde seiner Hinrichtung, die schon verlangt wird, sogar von Senatoren, die er, Renz, in Gedanken mit dem alten Revolver seines Vaters erschießt, um Bradley Manning zu helfen: dem einzigen Menschen, der ihm in dieser Nacht mehr leidtat als er sich selbst. Renz boxte gegen den Kachelboden, auch ein Schmerz. Er war seine eigene Zelle, darin nichts als das vage Bild dieses Neuen in Vilas Leben, irgendeines Kandidaten, den sie an einem winterlichen oder schon frühlingshaften Nachmittag in einem Berliner Café auf seinen Esprit testet. Und bei einem Abendbummel geht der Test weiter, und er endet im Bett, wo im Prinzip immer dieselben Dinge passieren, nur manchmal auch nicht, wie bei ihm und Marlies in Lucca. Und dann sagte er sich wieder, die ersten Vögel pfiffen schon, wie belanglos doch im Grunde die Ereignisse des Liebeslebens seien, erster Kuss, erste Nacht, das erste Missverständnis; nur der letzte Blick auf ein Krankenbett blieb eingebrannt, alles andere war Vorabendzeug. Er saß jetzt in das Laken gehüllt auf den Polstern, ein alter Hollywoodrömer, der zuschaut, wie es hell wird, graumilchig der Himmel, dann schwefelfarben, ungut – ein Wink, das Dach zu verlassen, ins Bett zu gehen, und erst dort ein Schlaf wie auf schweren Wein hin, bis ihn die Mittagshitze weckte. Er war allein im Haus, Vila machte Besorgungen, irgendetwas hatte sie immer im Ort zu tun. Ihr Frühstücksgeschirr stand noch herum, und er räumte es auf; man sah den See kaum vor Dunst, man hörte auch nichts, selbst die Zikaden waren verstummt, die Stille unfassbar, und auf einmal kurze, helle Glockenschläge vom Kirchturm, eine Kindertotenmesse. Renz ging zu den Bananenstauden – auch wenn Marlies in ihm auftauchte: ihre Augen, die nach ihm schnappen, wie ein Mund nach Luft schnappt, hatten die großen, sich still entrollenden Blätter etwas Beruhigendes.
    Und bald darauf Vila, sie erzählte von dem Trauerzug, sie war ein Stück mitgelaufen, ganz am Ende, wo die Leute kein Schwarz mehr tragen und sich leise unterhalten, das kurze Stück, ehe der Zug wie alle Trauerzüge vor dem Hohlweg links zum Cimitero abbog. Ein Junge aus dem Ortsteil Coi war überfahren worden, auf der Uferstraße kam im Sommer täglich jemand um, sein Name: Agostino, er war elf. Vila wusste immer Bescheid über ihre Umgebung, das liebte er an ihr; sie hatte Barsche mitgebracht, noch nicht ausgenommen, das übernahm er später. Ihm machte das nichts, die schleimigen Leiber aufzuschlitzen und mit dem Daumen die Innereien herauszudrücken, er übernahm auch das Braten, während sie las, seine neuartige Frau im Feigenbaumschatten. Erst beim Essen ein Gespräch, es ging um die Gästeliste für den Achtundzwanzigsten, er wollte noch die Hollmanns dabeihaben, Ines und Danny, sie mit ihren Therapeutinnenspäßen, er mit seinen Kunstbetriebsgeschichten als Pendler zwischen New York und Frankfurt – ein gebildeter Jude ziert jede Tafel, das war sein Plan, während für Vila der Tisch schon zu groß war. Man sei praktisch unter sich, hatte sie allen versprochen, und Hollmanns waren Geschmacksache, sie kannten nur zweieinhalb Themen, Avantgardekunst aus China, die Geheimnisse des Autismus und ihren Rottweiler.
    Am

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