Liebe in groben Zügen
Ende bringen sie den noch mit, rief Vila, und Renz ließ die Hollmanns fallen, schon damit seine Barsche in keinem Streit untergingen. Und sie sparte dann auch nicht mit Komplimenten, ganz gelungen sei der Fisch, besser könnte man ihn gar nicht machen – der Auftakt eines ruhigen Essens und ruhigen Abends mit Wetterleuchten über den Bergen, als hätte sie nie gesagt, dass es etwas Neues in ihrem Leben gebe; auch das ferne Geflacker wenig beunruhigend, nur ein Schauspiel, bis beim letzten Glas Wein ein Windstoß über den Pool ging und welke Blättchen aus den Oliven und der Jasminlaube riss. Gute Nacht! Vila brachte ihr Glas ins Haus, sie ging nach oben, aber im Bett nur ein Wachliegen und Horchen. Im bergengen Norden des Sees grollte es, als brächen dort ganze Flanken ab und stürzten ins Wasser, und die Stimme in ihr, die Renz am wenigsten kannte, wenn er sie überhaupt kannte, sprach ein Stoßgebet für den Wanderer auf der anderen Seeseite.
Doch das Gewitter entlud sich mehr in den Bergen, schon im Trentin, der Wanderer war nicht in Gefahr, er verbrachte die Nacht neben dem Dom von Gargnano, seine Kuppel wie eine Brust aus Stein; alle Zimmer im Ort waren belegt, auch die privaten. Und am Morgen die Sonne aus einem Wattedunst, Bühl frühstückte am Wasser, eine schläfrige Caffè-Bar, dann ging er oberhalb des Sees stetig bergan, vorbei an alten Zitronenpflanzungen, Limonaias, übrig nur noch ihre vierkantigen Pfeiler, einst Stützen eines Balkendachwerks gegen Winterfrost, die Balken auch Halt für die schweren, mit Zitronen beladenen Äste, jetzt das Ganze nur noch wie Ruinen eines rätselhaften Bauwerks – und ein Beweis, dass Franziskus hier die ersten Zitronensamen an günstiger Stelle gesetzt hat.
Er ließ Gargnano hinter sich und ging durch Olivenwald, weit ausholend sein Schritt, Gangart der franzschen Nachfolger, die Hände gern auf dem Rücken, ein Weg bis zum kleinen San Gaudenzi oder San Gaudenzio, wie es auf der Karte hieß, den Ort, den er schon einmal gesehen hatte, aber ohne Geduld, nur aufs Weiterkommen bedacht, und jetzt sah er sich um. Eine Kirche gab es da, steil am Hang, und graue Häuser, alte Mauern, ihre Steine geschichtet, zwischen zweien mit Spalt eine Schlangenhaut, fast durchsichtig dünn, er strich darüber. Vila hatte ihm eine Nachricht geschickt, Krönung seines Frühstücks, Campo morgen Nachmittag, gegen fünf? Er wog das noch ab im Gehen, vorbei an halb versteckten Gärten, wie erstarrt vor Hitze. Zwischen Tomaten und Kohlköpfen dösende Katzen an einem Hundstag, manchmal auf dem felsigen Weg eine Eidechse, auch erstarrt, und kaum ein Mensch; zwei Frauen auf einer Treppe, die zu der Kirche führte, enge Gesichter, ein leises Salve, als er vorbeikam. Und vor der Kirche ein Balkon mit Brüstung, tief unten der See, im Dunst ein Schiff, irreal seine Schaumspur. Aber binnen Sekunden ein Kontakt zur Welt, und er schrieb eine Antwort, ungeübt, der Daumen sträubte sich, auch der Verstand, nur das Blut spielte mit. Ja, eine gute Zeit! Vier Worte, aber eigentlich mehr, ein Ja, ich werde da sein, rechne mit mir, die gute Zeit gehört uns. Er entließ die Worte, und das Weitergehen dann mühsam, wieder bergab, an den See heran; am Ende, als der Berg zu steil war, lief er auf der gewundenen, in den Fels geschlagenen Straße bis Porto di Tignale. Dort aß er in einer Pizzeria zu Abend und schlief später auf noch warmem Uferkies.
Die Morgenwellen weckten ihn, ein nervöser See, Bühl zog sein Gerät aus dem Rucksack und schrieb, bis alle Energie darin verbraucht war. Bald darauf kam das Kufenboot, die Goethe, weil nicht nur Papier geduldig ist, auch Stahl, und er hatte Glück: Das Unding fuhr auf die andere Seite, nach Malcesine, wo Goethe kurz in Haft war, als Spion, nachdem er die Burg gezeichnet hatte. Also machte auch er seine Skizze von Gemäuer und Turm, das war er der Geschichte schuldig, dann sah er sich in den menschenverstopften Gassen um und nahm schließlich den Bus Richtung Süden bis nach Marniga; von da ging ein Weg hinauf ins kleine aufgegebene Campo.
DAS hinterher kaum mehr Fassbare, nach Stunden schon Unwirkliche (irreal wie die Schiffsspur, wenn man an der Bergkante steht, tief unter einem der See), mit der Gegenwart nur schwer zu Vereinbarende – soll man es einfach absinken lassen in sich oder daran festhalten wie an einem Wahn? Vila, am späten Abend neben Renz auf der Terrasse, wehrte sich gegen jede Veränderung ihrer Dinge mit Bühl in der Kapelle von
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