Liebe in groben Zügen
Gesprächs dabei; das Ende erst, als er die Zwiebelstückchen für ein Omelett mit frischen Pfifferlingen anbriet. Dann guten Appetit, Kristian, und holen Sie sich einen Wein von oben!, ein intimer Zuruf, aber kurz nach dem Auflegen – schon in Havanna, davon hatte sie kein Wort gesagt – war er für sie wieder Bühl, der neue Mieter, so wie Renz für sie Renz war, der ewige Mann.
Und beim dritten Anruf wollte sie noch etwas mehr, das leicht Benommene in seiner Stimme, wenn es schon kein Erstaunen war, die Spur von Schläfrigkeit, als sie wieder spät in der Nacht, Torri-Zeit, ihren Namen nannte. Sie stand am Malecón, der langen Promenade von Havanna, auf der einen Seite das Meer, auf der anderen leere Kontore, leere Hotels, die Fenster vernagelt, die Säulen der Vordächer von Salpeter zerfressen. Eine tote Kulisse, das Leben nur auf der Kaimauer, gegen Abend saß dort Pärchen an Pärchen, die Frauen kreischend, wenn ein Brecher die Mauer traf, die Gischt nach oben schoss, oft bis über die Straße. Sie hielt das Telefon in den Wind und stieß selbst einen Laut aus, als das Wasser kam, und Bühl erkannte den Laut zwischen dem Kreischen der anderen: Das waren Sie, Vila, rief er ihr aus dem oktoberkalten nächtlichen Oberitalien zu, und sie erzählte ihm, wo sie war, wo sie stand und alles, was um sie herum passierte, bis zum Versinken der Sonne. Wie ein roter Ball, sagte sie. Und wenn wir hier wirklich drehen, wenn ich den Beitrag über diesen Dichtervolkshelden mache, muss am Ende so ein Sonnenuntergang kommen, sonst krieg ich das nie ins Programm. Können Sie mich verstehen? Sie ging ein Stück weg von den kreischenden Pärchen, und offenbar verstand Bühl jedes Wort. Wer ist wir, fragte er, mit wem drehen Sie, mit Ihrer Tochter? Haben Sie Katrin schon gefunden? Drei Fragen auf einmal und nur die erste interessant, obwohl ihr die anderen viel näher sein müssten, waren sie aber nicht, nicht im Moment. Wir, das bin ich, sagte sie. Er sei denn, Sie kämen hierher – eine Wahnsinnsstadt! Den Ausruf warf sie ihren Worten noch nach, nur änderte er nichts mehr daran, sie hätte jetzt höchstens noch ein Witz rufen können, hören Sie, Kristian, das war ein Witz, aber es waren ihre Worte in der Worte ganzer Bedeutung, der Wunsch, dass er sich ins Flugzeug setzen sollte, möglichst bald – eben noch ungeboren in ihr, jetzt in der Welt. Und sie sprach schnell von etwas anderem, das hätte jede getan, jede mit gesundem Frauenverstand, sie sprach von der Heizung im Haus, schwer zu regulieren, wenn es mittags noch warm werde. Vielleicht arbeiten Sie dann besser im oberen Stock, Sie können gern an meinen Schreibtisch! Ein Angebot, auf das der Mieter gar nicht einging. Und Havanna, sagte er, wie darf man sich das vorstellen, voller Musik, voller Provisorien, als blühenden Verfall? Noch ein paar Worte mehr von Ihnen, und ich komme.
Was für Worte? Vila wollte jetzt über die Uferstraße, unter eins der Vordächer auf der anderen Seite, mit Telefon am Ohr suchte sie in dem Hin und Her von alten Autos wie riesige Badewannen eine Lücke, um dann zu rennen. Sagen Sie mir, was ich sagen soll, rief sie in einem Hupkonzert bei ihrem Zickzacklauf über den Malecón. Gar nichts mehr sagen geht auch: Bühls Antwort, als sie endlich zwischen Salzwasserlachen und mageren Hunden an einer der Säulen stand. Sie sagen einfach nichts mehr, und mit einem Mal bin ich da.
Was heißt, Sie sind da? Schlagartig, wie bei einer unverhofften Umarmung, verteilte sich ihr Blut neu, vom Kopf in die Beine, sie ging um die Hunde herum, drei, vier, fünf, und kam in einen Schwall von Gischt nach einem Brecher über die Straße, in Sekunden nass bis auf die Haut, ein Rausch in jeder Pore – sie war vierzig, alles andere war falsch, die Hormone, die Zäpfchen, die Ratschläge, wie das Lieben noch gehen konnte, ohne wund zu werden. Und auf einmal das Bild, dass Renz sie so sehen könnte, mit dem Rücken an der Säule, triefendes Haar, das Telefon an ihrer nassen Wange; nur wer in der Leitung war, könnte er nicht sehen. Sind Sie noch dran? Ihre alte Frage, die Antwort ein gesummtes Ja, schwerwiegender als jedes gesprochene, und sie, nach einer Pause: Gut, meinetwegen – sind wir verrückt? Fast ein Stück Resignation, wenn es sich nicht vermeiden lässt, bitte, aber dabei schon die Vermutung von Verrücktheit, die alles entschuldigen kann. Franz von Assisi war auch verrückt, rief ihr Bühl durch den Äther oder ein ozeanisches Kabel zu, den Kopf
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