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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Butter und drei Dosen Moretti-Bier, danach ging er in die nächste Quergasse, zur einzigen Marcelleria, ab Oktober höchstens stundenweise geöffnet. Er brauchte dort eigentlich nichts, nur war der Metzger nebenher Bildhauer, ein Schöpfer frommer Motive, der sich mit Fleischverkauf über Wasser hielt: im Ort die tragischste Person. Zwischen Würsten und gehäuteten Kaninchen standen die Modelle seiner Werke, und jedes Mal holte er ein anderes hervor, um es Bühl von nahem zu zeigen, zerbrechlich in einer schweren Hand. Er war ein Schrank von Mann mit einem auch breiten Gesicht, aber verträumten Augen, schmalen Koteletten und einem schmerzlichen Zug um den Mund, unter dem weißen Metzgerkittel immer ein schwarzes Hemd. Und an dem Abend, einem Freitag, zeigte er die Papierversion einer Pietà, das Original aus alten Eisenplatten zusammengeschweißt, sein erklärendes Murmeln mit einem Minzgeruch aus dem Mund. Und gleichsam im Gegenzug kaufte Bühl fünf der kleinen, hodenförmigen Polpette aus gemahlenem Kalbfleisch und Brot, die der Metzger nur für ihn zu formen schien; nach dem Essen in einem Pizzalokal an der Straße verteilte er sie an zwei Hunde.
    Den Espresso trank er später am Hafen, aber es ging dabei nicht um die Nähe zum See – unter den Hotelarkaden kam jeden Freitagabend und bei jedem Wetter ein Tanzkreis zusammen. Ein Dutzend Paare, keines unter sechzig, bewegte sich, trotz Steppjacken, elegant zur Musik von drei Beinahegreisen, Klarinette, Harmonika und am Schlagzeug der Spitzbart aus dem Tabacchi, ein Schauspiel im Schein der bleichen Hafenbeleuchtung. Die Alten spielten Evergreens und als Finale ein Lied, das auch das dickste Jackenfutter gegenstandslos machte, der Refrain vom Jüngsten der drei heiser gesungen, So darling save the last dance for me. Punkt elf Uhr klang der Tanz damit aus, und die Zuschauer auf dem Hafenplatz zerstreuten sich, darunter auch der bildhauernde Metzger, jetzt nur noch im schwarzen Hemd, trotz Kälte. Bühl legte Geld auf den Tisch und folgte der breiten Gestalt, sie hielt sich im Dunkel eines der Quergässchen zwischen See und Straße, fast eins mit der Dunkelheit, bis sie darin verschwand, und statt ihrer die Idee, der Metzger könnte irgendwo lauern, ihn abpassen, die Kräfte ausspielen, mit denen er sonst Kälber zerteilt, ihn dann aber mit seiner anderen, untröstlichen Seite von hinten umarmen: zähes Bild aus den frühen Aarlinger Jahren. Er kaum zwölf, ein sehniger Junge, angeblich hübsch und mit Sicherheit schon einer der Besten im Wasser und auf dem Wasser, jetzt aber im Ruderhaus, wo die schlanken Boote aufgebockt liegen, auch der Zweier, mit dem er an warmen Abenden zwischen Aarlingen und Wangen trainiert, bei ihm Gerd Heiding, Leiter der Ruder-AG, auch als Lehrer, Geschichte und Sport, immer etwas entblößt: Indianergerd, das glänzend schwarze Haar im Nacken geknotet. Und wenn der Zweier mit Kiel nach oben abgelegt ist, kommt Heiding von hinten und presst ihn gegen den Achter, mit einer Kraft, der er nichts entgegenzusetzen hat als die Nachgiebigkeit, in der sich der Stärkere schließlich erschöpft, so sehr, dass er ihm fast leidtut und ihn streichelt, wie man ein sterbendes Tier streichelt, auch wenn es einen abstößt.
    Die Metzgergestalt tauchte noch einmal auf, sie lief über die Straße, zu einem der Durchgänge in der alten Stadtmauer von Torri, und Bühl schlug den Rückweg zum Haus ein; er ging schnell bergan, fast im Laufschritt, Sport hatte immer geholfen, das zähe Bild in ihm kleinzuhalten, auch jetzt hielt er es sich gewissermaßen vom Leib, es war nur da wie ein stiller Krebs. Heiding war ihm Vater, Mutter, Lehrer gewesen, dazu noch ein stärkerer, beherrschender Körper, er hatte ihm blind vertraut: Heiding, sein indianischer Gott. Daneben gab es nur noch den Freund mit all den Büchern, die er für Geld lesen sollte, aber nicht las, sein brüderlicher Halbgott, deus cornelius. Zwei Vielversprechenden hatte er sich anvertraut, wie Franz in frühen Jahren der Schönheit und dem Rittertum, später erst Gott dem Vater und dem Sohn; Klara, die Schwestermutter, das war schon zu viel. Männer setzen nicht gern alles auf eine Karte, sie tun nur gern so. Ganz anders die Frauen, eine der entschiedensten, Heldin mancher Ethikstunde: Teresa von Ávila. Nach ihrem Tod fand sich eine Notiz, drei Worte in blasser Tinte, Solo Dios basta, Gott allein, das reicht, geschrieben von einer, die nur aus Seele bestand, wie die spätere Thérèse von Lisieux,

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