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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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mit den schattigen Hängen und hohen Zypressen, wie die Beschützer der Dörfer, ihrer Bewohner; er denkt an den Wolf von Gubbio, den er gezähmt hat, und an seine liebste Einsiedelei, überragt von hohen Wänden, wo das Unfaßbare zum Greifen nahe scheint. Und dort wie hier, überall und immer, dieselbe Frage: gehen oder bleiben. Die Arme ausgebreitet wie der Gekreuzigte, liegt er Tag für Tag auf der Felskante am Ende der Landzunge, auf den Augen zwei Olivenblätter gegen das Licht, und sieht sich zurück in den Ort gehen, wo er die Wäscherin bei ihrer Arbeit am See trifft, kniend auf dem moosigen Uferstein. Aber in stillen Momenten, wenn keine Wellen klatschen, keine Vögel pfeifen, die Schöpfung und der Schöpfer fern sind, ist es eine andere, die er am Ufer sieht, wie hervorgewachsen aus der Wäscherin, die sein Herz nur ablenken soll. Noch in der Dunkelheit liegt er so da und zittert vor Kälte und ihrem Gegenteil, hinter den wunden Augen ein Bild: Die junge Magd aus Torri am Seeufer, ihr eigenes Haar als Wäsche, und er tritt von hinten an sie heran, hilft beim Auswringen des Haars und hebt es über ihre Schultern, ihr Gesicht: das auf einmal ganz anders aussieht, blaß, schmal, mit hoher Stirn und ohne Brauen, graublau die Augen, die Wimpern blond, Klaras blanke Augen, die ihn anschauen. Was kann man tun, wenn der Himmel oder Hunger ihm solche Bilder malt? Wie er das viele Haar der Wäscherin über Klaras Schultern verteilt und ihr Gesicht in die Hände nimmt, wie er zu ihr sprechen will, was machst du hier, liebste Schwester, warum bist du nicht in San Damiano?, aber der Mund kein Wort herausbringt, nur den anderen Mund sucht: So war es schon in den Kerkern Perugias, angekettet an die Freunde, die in der Dunkelheit weinten, wie er unter den Olivenblättern auf seinen Lidern weint, als könnte das die Bilder wegwaschen, die ihm nur ein leerer Magen und nicht der Himmel bis in die wunden Augen schickt. Und endlich kriecht er in seinen Felsspalt, auf das Lager aus Blättern, die zu ihm zu sprechen, sobald er sich umdreht im ersten Halbschlaf, dazu die Heimkehr der Fledermäuse. Ein Geräusch wie von Seide auf Seide, wenn sie die Flügel schließen – er hat es noch im Ohr, das feine Schleifen von französischem Stoff unter den Händen des alten Bernardone, einzige zarte Bewegung des Vaters. Und nach dem Rauschen des Sees später sein Tosen, wenn der Nachtwind den Benacus von Norden nach Süden pflügt, ein Tosen, das ihn aus Träumen holt, ihm noch mehr Schreckensbilder erspart, also von Gott kommt und ihn wach hält bis zum Morgen. Zerschlagen geht er in die Tage, aber will bleiben, nicht aufgeben, allein sein, bis die reifen Oliven abfallen, nach einem Sturm im November klein und schwärzlich unter den Bäumen liegen, oft so dicht, daß sie Buchstaben gleichen, einem Abi viator als Wegzehrung; dann erst will er weiterziehen, immer weiter.
    DIE erste Folge von Mitternachtstipps nach der Sommerpause kam am üblichen Sonntagabend, nur noch später als sonst. Es war der Sonntag oder schon nicht mehr ganz Sonntag, an dem Bühl vom Mailänder Flughafen mit dem Zug bis Peschiera gefahren war und dann weiter in einem Taxi zu dem verwaisten Haus, wo er in Vilas Zimmer vor dem Fernseher saß. Nur der anfängliche Eyecatcher über eine Frau, die in Fußgängerzonen mit einer Gasflamme und wenig Zutaten delikat kochte, um gegen Fast Food zu demonstrieren, war zeitlich ein echter Mitternachtstipp, die übrigen Beiträge waren schon verlorene Montagsnummern, wie Vila es nannte.
    Sie sah die Sendung mit Renz und einer Flasche Tignanello, eine kleine Feier quasi zu dritt, weil das Format überhaupt noch weiterging: bis nächsten Sommer auf jeden Fall, hatte ihr Podak mit kalter Pfeife im Mund gesagt, und der musste es wissen, da er die meiste Zeit in Sitzungen verbrachte. Die beiden waren in der Küche, ihrem neutralen Ort, neben der Espressomaschine ein kleiner Flatscreen. Deine eine Hand ist zu hoch, sagte Renz, als Vila den letzten Beitrag anmoderierte, fünf Minuten über ein Theaterprojekt mit jungen Asylanten, die über ihre Irrwege nach Deutschland wild durcheinandersprachen: Babylonisch, sagte sie, und die Hand mit der kleinen Reverso war dabei fast am Ausschnitt eines neuen Kleids von Marc Jacobs, steuerlich nicht absetzbar, so wenig wie der Gürtel von A. F. Vandevorst, darin eingehakt der Daumen ihrer anderen Hand. Sie hatte den Asylantenbeitrag noch vor dem Sommer selbst geschnitten, das Material hätte

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