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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Kunstbetrieb, viel unterwegs, sie die Sorte Kindertherapeutin, die sich auch für Erwachsene zuständig fühlt; nach jeder Folge von Mitternachtstipps ihre kleine Kritik als Mail. Der Ausschnitt ist gut, sagte sie, das Problem ist die Hand, die mich vor gar nichts schützt. Was macht deine Arbeit? Sie blieb vor dem Hollmannhaus stehen, den beiden gehörte die oberste Wohnung, zweihundert Quadratmeter mit Balkon zur Straße. Die kommt jetzt voran! Und Bühl erzählte, was er zuletzt geschrieben hatte, sie hörte mit dem Rücken an den Hollmannhausbriefkästen zu, bis zu dem Punkt, an dem Franz die Wäscherin beim Waschen ihres Haars sieht, dann rief jemand nach ihr, sie fuhr herum, das Telefon in der Faust. Ines Hollmann stand auf dem Balkon, schon im Pyjama und mit Zigarette, ihr Haar frisurlos wie immer, das Therapeutinnenprivileg. Ich muss Schluss machen: ein Flüstern zu ihrer Faust, geheimdiensthaft grotesk, dazu ein Winken zum Balkon, und die Hollmann winkte zurück – man war nur gut bekannt, nicht befreundet, Hollmanns brachten noch Blumen mit, wenn sie zum Essen kamen. War doch ganz schön, kam es von oben, und gemeint war die Sendung. Nur die Hand am Gürtel: etwas zu eingehakt? Wann sehen wir uns? Ines Hollmann drückte die Zigarette aus, und Vila rief Bald!, ihre Parole bei allen Blumenbekannten, dann winkte sie noch einmal und lief nach Hause, fast schon ein Endspurt.
    Renz war noch nicht im Bett, er war im Bad, die Tür stand auf, er duschte, das tat er sonst nie um diese Zeit, nicht einmal, wenn sie miteinander geschlafen hatten. Vila ging in die Küche, neben der leeren Weinflasche das schnurlose Telefon, vorher noch auf den Kochbüchern, wo es oft herumlag. Es fühlte sich warm an, warm und noch feucht von Renz’ Hand; er hatte das meiste von dem Tignanello getrunken, da leiden Sicherheitsreflexe. Ich will auch noch ins Bad, hörst du! Ein Appell, als er schon in den Flur trat, ein Handtuch vor der Brust. Du machst hier alles nur nass, hätte sie noch vor dem Sommer gesagt, jetzt sagte sie: Morgen ist Montag – ein doppelt absurder Satz, weil ja schon Montag war und weil er keinen Sinn ergab oder nur den Sinn, Renz in dem Moment zu ertragen, obwohl er mit nassen Füßen im Flur stand. Montag und was, fragte er, und sie schob sich zwischen Küchentür und Schuhschrank an ihm vorbei. Ich meine nur, die Woche fängt an, gibt es da nichts abzustimmen, nein? Sie hob wieder eine Hand vor die Brust und verschwand im Bad. Vila zog sich aus, die Schuhe, die Hose, den Pullover, Wäsche und Strümpfe, sie legte die Uhr ab und ein Armband aus Mexiko, das ihr Katrin geschenkt hatte, halb Silber, halb Leder, Indianerschmuck. Dann holte sie ihr Phone aus der Hose, das hatte sie unter dem hollmannschen Balkon förmlich ausgedrückt in der Faust, und machte es wieder an, mehr ihre Finger als sie selbst, und auf der Mailbox Bühls Stimme, eine ruhige Bitte, nichts Unüberlegtes zu tun, danach ein Gutenacht, leise und sachlich, eins, das sie ebenso leise, nur nicht ganz so sachlich nachsprach im Bad, aber damit war schon etwas Unüberlegtes getan; es war einfach geschehen, mit ihr und auch um sie geschehen, etwas, das sie nicht mehr für möglich gehalten hatte. Und sie drückte sich eine Hand auf den Mund, um einen Laut zu dämpfen, ein Stück irrer Freude, das sich Luft machen wollte, ja vielleicht auch alles, was an Freude bei einer Frau von Anfang fünfzig überhaupt ausbrechen kann. Sie liebte noch einmal, und das Irre war das fast schon Vergessene, Normale dabei, das Erwiderte. Renz klopfte an die Tür, Morgen die Umsatzsteuer, rief er, wir machen es am Vormittag, ja? Er klopfte erneut, und sie drehte die Dusche auf, Wie du willst! Kein Nachgeben, nur ein befreiender Punkt, alles dahinter gehörte ihr. Sie hielt das Gesicht in den Strahl, ihre Brüste, den Bauch, ihre Beine: die sie um Bühl schließen würde, etwas, das gar nicht mehr aufzuhalten war.
    DER November am See begann mild, kaum Wind und in den Mittagsstunden eine Sonne, die alle Steppjacken entbehrlich machte. Vor den Caffè-Bars die Alten, in der Hand ein Glas Wein, kleine Gläser in großen rissigen Händen, und am Hafenplatz von Torri die weißbehaubten Schwestern aus dem Hospiz für die greisen Priester. Bühl sah sie jeden Mittag auf ihrer Bank mit Blick auf den See, sie unterhielten sich leise, und manchmal lachte eine, gleich die Hand am Mund. Erst als das Wetter umschlug, der See und der Ort wie in flockiger Milch zu versinken schienen,

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