Liebe in groben Zügen
des Orts, nur die Wäscherin, die ein paar Stücke verloren hat, ist wach und wartet wohl, daß er geht, damit sie das Verlorene holen kann, bevor es sich andere holen und es Schläge von ihrem Herrn setzt. Wenn seine Beine mitmachten, wäre es keine Stunde bis zur Kapelle des Vigilio, immer am See entlang, immer der Sonne entgegen. Ihm gefiel die Landzunge schon auf dem Hinweg, in ihrem Halbrund eine Bucht mit hellgrünem Wasser, am Ufer Oliven- und Feigenbäume: bis in den November, wenn auch die Oliven reif sind, ein Ort zum Beten. Ein Hund schnuppert an den verlorenen Wäschestücken, er bittet ihn weiterzugehen, nicht darüberzulaufen mit seinen Pfoten – die Gentilezza oder Höflichkeit gilt auch bei Tieren. Der Hund wedelt und schließt sich ihm an, sie verlassen den Ort, hintereinander, wie er sonst mit einem der Brüder geht. Eigentlich wollte er nach Bologna, aber das hat Zeit; sich Zeit lassen ist auch Dank an die Zeit, die sein Mitgefühl hat, weil ihr auferlegt ist, sich selbst zu verschlingen. Sie ist Gottes Werk, aber nicht nur. Allein Gottes Werk sind die Feigen, die Oliven und die Vögel, mit denen er die Früchte teilt. Sein Schritt wird leicht bei diesem Gedanken, fast ein Tänzeln zu den moosigen Uferplatten vor den Mauern von Torri. Dort dreht er sich noch einmal um und sieht sie: Wie sie sich nach den Stücken bückt, ihr dunkles Haar nach unten fällt und wie sie davoneilt, barfuß und allein wie er, mit geradem Oberkörper, nur in den Hüften etwas wippend. Die Steinplatten enden, der Hund bleibt stehen, und er verabschiedet sich und geht auf Sand und Kieseln weiter. Er summt jetzt wie die Bienen, er ahmt die Laute der letzten Zikaden nach, Versprengte eines Sommers, der ihn bis nach Dalmatien geführt hat, wo Wildesel durch die Glut liefen und wo es Grotten gab, voll von Wasser und blauem Schimmer, und abends mit dem schwindenden Licht auch alles verstummte, lautlose Nächte mit einer Brise vom Meer oder tief in ihm, bei allem Glück ein törichter Stachel: als ob er irgend etwas versäume. Er ist jetzt müde, er träumt im Gehen. Ein Geflitter in den Olivenblättchen und das Ziehen der Wolken gleichen Flüssigkeiten, die ineinanderfließen, sich mischen wie die Laute der Vögel und der Name seiner liebsten Schwester Klara, den er vor sich hin singt, bis er die Landzunge erreicht, silberrauchig im grünen Wasser. Er geht fast ans Ende der Sichel, wo die kleine Kapelle zwischen Zypressen steht, und redet unter dem Bildnis des heiligen Vigilio laut mit dem Höchsten, der alles geschaffen hat, auch das Mädchen mit der Wäsche und dem fallenden Haar. Nach dem Gebet bricht er zwei Äpfel von einem Baum und bittet den Ast um Verzeihung, er sammelt sich Feigen vom Erdboden, weich wie die Wangen von Kindern, um ihr hellrotes süßes Fleisch auszusaugen. Alles ist gut, als die Abendsonne auf der anderen Seite über der Isola Lechi steht, dem Stückchen Land, auf dem man ein Kloster bauen sollte, damit es eine Isola dei Frati werde, auf der die Zitronen wachsen, wie schon in Torri und auch bei Gargnano, wo er im letzten Jahr, oder war es im vorletzten, das Romitorio del beato Francesco gegründet hatte. Die Sonne versinkt hinter der Insel, und er sucht nach einem Platz für die Nacht und die nächsten Wochen, bis der Höchste ihm ein Zeichen gibt, daß es genug sei mit dem Alleinsein. Etwas unterhalb der Kapelle ist eine Felskante, die steil zum Wasser abfällt, zweimal mannshoch, in der Mitte gespalten, dort findet er einen Platz, eng wie die Zelle, als er in Gefangenschaft war, aber nur mit Gott als großem Wächter und dessen kleinen Nachtgehilfen, den Fledermäusen. La porziuncola nennt er sein Lager, das Portiönchen, wie er selbst eins ist, klein, mager, zerzaust, ein faltiges Kind mit Bart, außer er stimmt seine Laudes an und tanzt für die Leute, dann wird er zur ganzen Portion, Gottes Gesandter.
Die ersten Tage auf der Landzunge, sie vergehen wie im Schlaf, bei klarem Himmel und Wind vom nördlichen See. Franz sammelt Feigen, um sie in einer Felsmulde trocknen zu lassen, er teilt sie mit den Wespen und gibt sogar den Fliegen etwas. Und vor der wärmsten Stunde, noch in der Mittagsstille, geht er bis zur Brust in den See, nicht weiter. Er kann nicht schwimmen, er ist kein Fisch, nur ein Menschlein. Anschließend läßt er sich trocknen, nackt auf dem Fels, über ihm der Himmel. Sein Herz pocht noch vom kalten Wasser, die Gedanken ziehen mit den Wolken, er hat Sehnsucht nach seinem Rieti-Tal
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