Liebe Isländer: Roman (German Edition)
der Stadt, aus Reykjavík. Matthías Johannessen und so.«
Als ich die Besichtigungstour durch das Norwegische Haus beendet hatte, schlenderte ich eine Runde durch den Ort und dachte bei mir, dass etwas Schönes und Richtiges daran sei, dass die Lieblingsgedichte der »Sippschaft« in Reykjavík nun in einem Heimatmuseum vergilbten.
Ich hatte die Attraktion des Ortes gesehen und ging in den Supermarkt »Dein Geschäft«, um mir etwas gegen den Hunger zu kaufen. Dort fiel mir auf, dass Max-Overalls unter den Frauen in Stykkishólmur außerordentlich beliebt waren. Später sollte ich herausfinden, dass jede zweite Frau auf dem Lande überall in Island in einem Max-Overall herumläuft. Hier in den Gängen des Geschäfts war diese Mode allerdings ins Extrem getrieben. Die Frage war nur, ob rot oder blau, die Overalls umhüllten die Frauen wie Bälge, die sich mit dem Frühling entblättern würden, so dass glänzendes, straffes Nylon zum Vorschein käme. Sollten diese Anzüge dazu dienen, alle Kurven zu verhüllen, und eine Art Keuschheitsgürtel sein, um zu verhindern, dass unbekannte Männer in unanständige Phantasien verfielen? Die Max-Overalls waren nicht nur warm, es wirkte, als spielten sie eine ähnliche Rolle wie die Burka bei strenggläubigen Muslimas.
Ich aß im Auto und ging dann in der Sporthalle duschen. Als ich unter der Dusche stand, kam ein ganzes Basketballteam zehnjähriger Knirpse in die Umkleide. Sie schienen verlegen und sich vor »dem Mann« in der Duschkabine zu genieren. Außer dem Anführer der Gruppe, der am Ohrring erkennbar wurde. Er trat pfeifend in die Kabine und reckte sich nach dem Wasserhahn. Die anderen folgten ihm nach und nach, und rasch war ich von Jungen umgeben. In ihren Augen war ich irgendein »Mann«, in meinen Augen aber war ich einer von ihnen. Und genauso betreten und geniert vor ihnen wie sie vor mir.Schockierend. War ich ein fünfundzwanzig Jahre alter, verschämter kleiner Junge?
Den Abend verbrachte ich im Hotel und nahm mir vor, endlich erwachsen zu werden. Am Nachbartisch saß eine fünfköpfige Gruppe auf dem Weg zur Chorprobe irgendwo im Hotel. Während sie auf den Rest der Runde warteten, tranken sie Kaffee und unterhielten sich.
»Bjarki ist immer für Überraschungen gut«, sagte ein Mann mittleren Alters.
»Ich hab gehört, dass sie das Haus gar nicht mehr verlassen«, sagte eine grinsende Frau ihm gegenüber.
»Wie ist das eigentlich, spricht sie Englisch?«, fragte ein anderer Mann in den mittleren Jahren am Tisch.
»Ja, das weiß ich nicht«, antwortete die Frau. »Miteinander sprechen ist ja nun etwas, was die Leute am wenigsten tun, so am Anfang.«
Tankstellenkioske
Die Bergstraßen nördlich des Breiðafjörður waren nicht befahrbar. Deshalb war es ausgeschlossen, die Fähre zu nehmen, um die Strecke abzukürzen. Ich fuhr nach Búðardalur und wollte mir dort Auskünfte darüber einholen, wie die Fortsetzung meiner Fahrt am besten zu gestalten wäre. Ich ließ mich im Kiosk nieder mit Kaffee, Zigarette und Landkarte. Der Karte nach war es am naheliegendsten, entweder über Steinadalsheiði oder über Tröllatunguheiði zu fahren und von dort weiter nach Hólmavík. Oder über Þorskafjarðarheiði, direkt hinein auf die Steingrímsfjarðarheiði und von dort weiter nach Ísafjörður. Mir gefielen diese Bergstrecken nicht. Wenn es kaum möglich war, ihre Namen auszusprechen, wie sollte es dann sein, sie zu überqueren? Das Hochland nördlich des Breiðafjörður war gesperrt worden, und bei diesen Strecken hier könnte es genauso sein. Doch wie zum Teufel kommt man in die Westfjorde, wenn keine der Strecken befahrbar ist?
Am Nachbartisch saß ein älteres Bauernehepaar. Sie hatte Gehstöcke neben sich stehen und eine laute Stimme, die durch den ganzen Kiosk schallte. Er hatte Stiefel an, eine Schirmmütze auf, einen Svali in der Hand sowie ein Würstchen, und kurz bevor er den ersten Bissen nahm, rief er in den Raum: »Jetzt werd ich diesen Schafsdarm fressen!«
»Wär ja schön, wenn wenigstens anständige Därme dran wären«, fügte die Laute hinzu.
Er drehte das Würstchen in die Senkrechte, nahm sich genügend Zeit zum Kauen und trank zwischendurch vom Svali. Es war ein großer Mann, und er tat mir auf einmal leid, so wie er da ziemlich gebeugtauf dem Stuhl saß und auf das Würstchen blickte, das ihm offensichtlich mundete. Wahrscheinlich ein seltener Luxus. Mir schien es, als ob er alles im Leben verpasst hatte. Dass er immer nur
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