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Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Titel: Liebe Isländer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Huldar Breiðfjörð
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wiederkommen würde. Einer meiner Freunde hatte gefragt, ob ich den Ring in Etappen fahren und zwischendurch immer hin und wieder eine Stippvisite in der Stadt machen wollte. Zweifellos musste man diese Tour in Etappen fahren. Da war nichts dabei. So wäre man bestimmt ausgeruhter an jedem Ort und könnte ihn besser genießen.
    Am Berg oberhalb von Flateyri wurde gerade an einer Lawinensperre gebaut. Sie hatte die Form eines As und sollte offenbar die Lawinen teilen, damit sie sich rechts und links an den Seiten des Ortes hinunterstürzten. Darüber krochen gelbe Baufahrzeuginsekten. Flateyri selbst war bezaubernd ineinandergewachsen wie ein griechisches Dorf. Alte Holzhäuser und Wellblechhütten flochten sich umeinander und ineinander, so dass hier wahrscheinlich niemand wusste, wem welcher Garten gehörte, welche Wäsche, welche Tiere und vielleicht nicht einmal welches Heim. Schließlich waren die Leute manchmal gezwungen, wegen drohender Lawinengefahr aus ihren Häusern zu ziehen, und waren deshalb vielleicht das ganze Jahr mehr oder weniger bei anderen zu Hause.
    In Bolungarvík hatte ich einen Hund und zwei Kinder gesehen, doch in Flateyri war niemand. Nicht eine Menschenseele. Hätte an den Leinen keine Wäsche geflattert und wären nicht die gelben Käfer auf dem Berg herumgekrochen, hätte es genauso gut sein können, dass ich auf ein Foto des Ortes an einem ruhigen Wintertag schaute. Wo war die Nation, die ich vorhatte zu treffen? Um ein Gesicht aus Flateyri zu sehen, landete ich im Tankstellenkiosk des Ortes an. Er befand sich in einem winzigen Schuppen am Hafengelände und wirkte wie ein Provisorium. Davor standen zwei ruhelose Zapfsäulen, und drinnen im Kiosk saß eine einsame Verkäuferin an einem kleinen Schultisch in einer Ecke, von Süßigkeiten, Ersatzteilen und Videokassetten umgeben. Die Beine hatte sie auf einen Stuhl hochgestellt, die Arme darumgelegt, und das Kinn ließ sie auf den Knien ruhen.
    Als ich die Tür aufriss und munter fragte, ob sie nicht Kaffee hätte,war sie völlig verblüfft. »Ach, du kannst von meinem etwas abhaben. Wir verkaufen hier sonst keinen Kaffee.« Ich hatte vorgehabt, mir den Weg durch die Vorrede mit einem frischen Auftreten abzukürzen, aber mit ihrer Antwort schlug die Stimmung augenblicklich in Schüchternheit um. Trotzdem war ich irgendwie stolz darauf, dass sie sich vor mir zu fürchten schien.
    Ich setzte mich an den Tisch, und sie zog die Nase hoch, blickte nervös um sich und umklammerte die Beine fester. Vielleicht war sie es einfach nicht gewohnt, neue Gesichter zu sehen, und wer bildete ich mir überhaupt ein zu sein, hier hereinzustürmen und Kaffee zu verlangen? Sollten mich alle mit Begeisterung empfangen, nur weil ich aus Reykjavík war? Auf dem Tisch vor ihr befanden sich ein vollgekritzelter Kniffel-Block, Würfel, ein Aschenbecher und eine fleckige Kaffeekanne. Vergingen so die Tage in Flateyri? Ich goss Kaffee in einen weißen Plastikbecher und versuchte mir den Anschein zu geben, dass ich die absolute Ruhe im Dorf als angenehm empfand. »Wo sind denn alle?«
    Sie sah aus dem Fenster und dann in alle anderen Richtungen außer zu mir. »Zu Hause, auf Arbeit oder irgendwo.«
    Ich erzählte ihr, dass ich eine Reise durchs Land machte, und fragte, wie es sei, in Flateyri zu wohnen.
    Sie zuckte die Schultern. »Es ist gut. Völlig in Ordnung. Man ist immerzu auf dem Weg nach Süden, nach Reykjavík.« Sie berichtete dann, dass sie schon an diesem oder jenem Ort gelebt habe, aber nie in Reykjavík. »Es spielt keine Rolle, wo man wohnt.«
    »Warum nicht?«, fragte ich neugierig.
    Sie sah wieder aus dem Fenster und ergriff dann die Chance und sah mich direkt an: »Obwohl die Orte unterschiedlich wirken, ist es doch überall gleich.«
    Ich betrachtete den Schuppen genauer. Er war vielleicht doppelt so groß wie mein Auto, und hierher kam sie alle Tage, spielte Kniffel mit sich selbst oder möglicherweise mit ihrer Freundin, die sie ab und an besuchte. Nach der Arbeit überquerte sie die Straße und ging heim,vielleicht ein, zwei Videos dabei. Durch das Fenster konnte man das ganze Dreihundert-Seelen-Dorf sehen. War das genug? Oder war das Dorf für sie genauso eine große Welt wie Reykjavík für mich? Ich hatte bemerkt, dass die Dörfer umso größer wurden, je länger man in ihnen weilte. Die Häuser lebten auf, und jedes wandelte sich in ein Zuhause. Innen lebten eine Gunna und ein Jón mit ihren zwei Kindern. Sie taten gerade dies, planten jenes zu

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