Liebe ist der größte Schatz
angenehm ruhig, als sie nach draußen getreten war. Sie lehnte sich an die Balustrade und wandte sich Carisbrook erwartungsvoll zu.
„Lucy hat mir etwas für Sie mitgegeben. Oder genauer gesagt, für Ihren Cousin Mr. Kingston.“ Asher zog einen versiegelten Brief aus der Fracktasche. „Ein Dankschreiben, würde ich denken. Lucy ist noch sehr jung und leicht zu beeindrucken. Wenn also ihre Zeilen ein wenig übertrieben sind …“ Er brach ab, als Emerald die Hand ausstreckte, um das Kuvert entgegenzunehmen, und seine Finger unabsichtlich ihre berührten. Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken, und sie ärgerte sich darüber, wie empfänglich sie für seine Berührungen war. Sie konnte nur inständig hoffen, dass sie ihn nicht so schwärmerisch anhimmelte wie all die jungen Damen auf dieser Gesellschaft. Rasch nahm sie den Umschlag an sich und verstaute ihn in ihrem Ridikül.
„Wenn es Mr. Kingston möglich wäre, Lucinda zu antworten und darzulegen, wie wir ihm die entstandenen Unannehmlichkeiten wiedergutmachen können, würde mich das sehr erleichtern. Ich möchte die Angelegenheit so bald wie möglich zu den Akten legen.“
Es schien ihm zu schaffen zu machen, dass er dieser Sache nicht Herr war. Er gehörte zu den Männern, die alles beherrschen mussten, aber im Gegenzug auch gerne Verantwortung übernahmen.
Wie es wohl wäre, wenn er die Kontrolle über sich ver liert?, fragte Emerald sich. Wenn er den Verstand ruhen lässt und sich ganz seinem Gefühl hingibt? Das Blut pochte ihr in den Schläfen, und sie wandte das Gesicht ab, um sich zu sammeln. Seine Worte drangen wie aus weiter Ferne an ihre Ohren.
„Wäre es Ihnen möglich, mir seinen Aufenthaltsort zu nennen? Wenn ich auf einer meiner nächsten Reisen in der Nähe bin, würde ich ihm gern einen Besuch abstatten und mich persönlich bedanken.“
Gütiger Himmel! Welche Adresse sollte sie ihm nennen? Sie kannte niemanden in Amerika, aber vielleicht konn te Azziz ihr helfen. „Ich werde Ihnen aufschreiben, wo er wohnt, und Ihnen die Nachricht zukommen lassen.“
Der Duke schüttelte den Kopf. „In zwei Tagen sind Sie ohnehin bei mir in Falder. Teilen Sie mir die Anschrift dann einfach mit.“
Die Klänge eines Walzers drangen durch die geöffneten Türen und beruhigten ihr Gemüt. Tief durchatmend lehnte Emerald sich zurück.
„Sie kommen mir merkwürdig bekannt vor, Lady Emma. Kann es sein, dass wir uns früher einmal begegnet sind?“
„Kennen Sie Cheshire, Euer Gnaden?“
Zu ihrer Erleichterung lächelte er sie an und schüttelte den Kopf. „Nein, ich denke auch nicht, dass wir uns hier in England gesehen …“
Fest entschlossen, ihn von seinen gefährlichen Überlegungen abzulenken, ergriff sie seine Hand und fragte ihn, ob er mit ihr tanzen wolle. Ohne seinen erstaunten Blick zur Kenntnis zu nehmen, legte sie ihre andere Hand auf seine Schulter.
Wie durch einen Zauber schienen sie miteinander zu verschmelzen, und einen Moment später schwebten sie über die Marmorfliesen der Terrasse. Für einen kurzen Moment schloss Emerald die Augen und stellte sich vor, eine richtige junge Dame zu sein – eine, an der er Gefallen fand. Sie bedauerte, dass sie ihn nicht unter anderen Vorzeichen getroffen hatte, und wünschte sich sehnsüchtig, die Frau zu sein, die er in ihr zu sehen glaubte.
Asher spürte, wie sie sich in seinen Armen entspannte, und zog sie näher zu sich. Seit Melanies Tod hatte er keine Frau mehr um einen Tanz gebeten.
Genau besehen hatte er auch Emma Seaton nicht zum Tanz aufgefordert, und doch schwebte er jetzt mit ihr im Rhythmus der Walzermelodie über die Terrasse und spürte ihren betörend warmen Atem an seinem Hals. Sie war ihm so unerwartet und so unverhofft nahe – kannte sie die Gerüchte um seine Person nicht?
Ein flüchtiger Blick in die neugierigen Gesichter im Salon genügte, und er verlangsamte den Schritt und blieb schließlich stehen.
„Sie sind neu in der Stadt, Lady Emma. Wenn Sie Ihren guten Ruf nicht in Gefahr bringen wollen, sollten Sie sich nicht von mir zum Dinner begleiten lassen. Haben Sie übrigens bereits Anträge bekommen?“
„Anträge?“
„Heiratsanträge. Sind Sie nicht aus diesem Grund nach London gekommen?“
Das Blut wich ihr aus dem Gesicht, und sie brachte keinen Ton hervor.
„Wussten Sie etwa nicht, dass wir uns mitten in der Saison befinden, in der die heiratswilligen Gentlemen Debütantinnen begutachten in dem Vorhaben, eine von ihnen zur Frau zu
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