Liebe ist der größte Schatz
sagte die Worte laut, erstaunt darüber, wie groß die Wut in ihm war. Emma Seaton war eine Diebin und eine Lügnerin und stellte eine Gefahr für seine Familie dar. Er hatte ihr Gelegenheit gegeben, sich ihm anzuvertrauen. Jeden anderen Gast, der schwarz verkleidet durch sein Haus schlich, hätte er längst hinausgeworfen. Weshalb hatte er Emma Seaton dableiben lassen? Er kannte die Antwort, bevor die Frage sich in seinem Kopf geformt hatte.
Er bewunderte sie – sie war so anders als all die Frauen, die er kannte. Dennoch hätte er ihr am liebsten die Hände um den Hals gelegt und die Wahrheit aus ihr herausgeschüttelt. Weshalb nur vertraute sie ihm nicht? Was hatte sie vor ihm zu verbergen?
Mit einer lauten Verwünschung wendete er sein Pferd und preschte nach Hause.
Kaum hatte Asher die Eingangshalle betreten, eilte Lucinda
auf ihn zu. Ihr Blick verriet, dass sie beunruhigt war.
„Emmie ist fort.“
„Emmie?“ Seine Schwester hatte Emma Seaton niemals zuvor so genannt.
„Sie ist meine Freundin. Ihre Freunde nennen sie Emmie, und ich darf sie auch mit diesem Kosenamen ansprechen. Und jetzt ist sie fort.“
„Hat sie dir gesagt, wohin sie gefahren ist?“, erkundigte Asher sich. Es fiel ihm schwer, seine Erregung zu verbergen.
„Nein, sie war sehr in Eile. Sie hat mir allerdings diese Notiz in die Hand gedrückt.“
Asher nahm den Zettel entgegen.
Miriam und ich müssen unverzüglich nach London zurückkehren. Vielen Dank, dass Sie mir das Kleid und den Schmuck geliehen haben.
„Ich glaube nicht, dass sie freiwillig abgereist ist, Asher. Du hast dich bestimmt mit ihr gestritten. Sie erinnert dich an alte Zeiten, in denen du noch Freude am Leben hattest und man dich oft lachen sah. Und weil du das nicht erträgst, hast du sie vergrault.“
„Genug!“, brüllte er so aufgebracht, dass Lucinda zusammenzuckte.
Sie riss ihm den Zettel aus der Hand und lief zur Treppe. „Sie wird vielleicht nicht mehr nach Falder kommen, Asher“, rief sie ihm über die Schulter zu, „aber du kannst mir nicht verbieten, sie in London zu besuchen, denn ich mag sie, während du dich offensichtlich entschieden hast, es nicht zu tun.“
Asher sah seiner Schwester nach, wie sie die Stufen hinauf eilte. Lucinda kennt den Ernst des Lebens nicht, dachte er, als er sich auf den Weg zur Bibliothek machte. Sie hat noch Träume, und sie vermag unvoreingenommen in die Zukunft zu blicken.
Im Gegensatz zu ihm.
In der Bibliothek erwartete ihn Taris. Sein Bruder wirkte müde wie seit Tagen nicht mehr, und als er seine Brille abnahm, um sie zu putzen, wirkte sein rechtes Auge merkwürdig trüb.
„Emma Seaton ist fort?“ Taris klang ebenso vorwurfsvoll wie Lucinda. Asher sah sich in Erklärungsnöten. Er nahm sich eine Zigarre und betonte, er habe die Verantwortung gegenüber Falder und seiner Familie. Taris entgegnete, dass Lady Emma trotz ihrer seltsamen nächtlichen Wanderungen durch das Haus nichts gestohlen zu haben schien. „Sie muss in Schwierigkeiten stecken, Asher“, schloss er. „Das vermutest du doch auch.“
„Und du denkst, ich habe etwas damit zu tun?“
„Ich kann es an deiner Stimme erkennen, dass dir viel an ihr liegt. Wenn es sich so verhält, Bruder, und du die Hoffnung auf einen Erben nicht aufgegeben hast, wird es höchste Zeit, dass du handelst.“
Asher fluchte unhörbar und blieb Taris eine Antwort schuldig. Gleichviel, was er für sie empfand, ob Sympathie, Lust oder Liebe, es spielte keine Rolle … oder doch?
„Also gut“, erklärte er mürrisch. „Morgen werde ich nach London aufbrechen und mich nach Lady Emmas Befinden erkundigen.“ Als er sah, dass sein Bruder lächelte, runzelte er die Stirn und füllte sein Glas – mit Wasser. „Miss der Tatsache, dass ich mich anders besonnen habe, keine Bedeutung zu, Taris. Ich fahre nur wegen meines eigenen Seelenfriedens, das ist alles.“
„Ich werde dich begleiten.“
„Du warst seit Jahren nicht mehr in der Stadt.“
„Dann wird es höchste Zeit, dass ich London wieder einmal einen Besuch abstatte, nicht wahr?“
„Fährst du wegen ihr?“
„Jawohl.“
Es klopfte, und die Haushälterin kam ins Zimmer. „Verzeihen Sie, Euer Gnaden, aber ich hörte, dass Lady Emma abgereist ist. Darf ich Sie kurz sprechen?“
„Selbstverständlich, Mrs. Wilson.“ Obgleich Taris ebenso neugierig war wie er, begleitete Asher die Angestellte hinaus und bat sie in sein Arbeitszimmer. Es schien der Haushälterin peinlich zu sein, ihr Anliegen
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