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Liebe ist ein Kleid aus Feuer

Titel: Liebe ist ein Kleid aus Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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dass er schon wieder einen seiner wackligen bräunlichen Zähne in den Napf gespuckt hatte.
    Baltus schien sich nicht weiter darum zu kümmern.
    »Bin längst ein Maulwurf geworden«, sagte er, »und dir wird früher oder später auch nichts anderes übrig bleiben, denn wer sich dagegen auflehnt, verreckt. Der Berg ist stärker als du und ich. Stärker als wir alle zusammen. Schreib dir das gleich mal dick hinter die Ohren! So lautet nun mal das erste und wichtigste Gesetz, und ohne das geht hier unten nichts.«
    Lando bekam schon bald zu spüren, was Baltus meinte. Mittlerweile schien er den dunklen Tunnel, in den er kroch, selbst nach Beendigung der Arbeit nicht mehr verlassen zu können. Er verlor jegliches Zeitgefühl, wusste gerade noch, dass der Winter irgendwann zu Ende gehen musste, aber nicht mehr, welcher Monat es war. Lange noch hatte es geschneit, dann begann dichter, kalter Regen zu fallen. Anfangs hatte Lando noch auf Sauberkeit geachtet, sich gewaschen, so gut es in der Kälte eben ging, und sich um seine Sachen gekümmert. Dann aber merkte er, dass er machtlos war gegen den Staub. Der Berg hatte sein Gesicht und seinen Körper ebenso gezeichnet wie die von Jon und den anderen. Allmählich wurde Lando alles immer gleichgültiger:
    Ob er hungrig war oder satt, ob er noch ein sauberes Hemd besaß, ob jemand mit ihm sprach oder alle von ihm abrückten, als plage ihn eine ansteckende Krankheit.
    Sogar Andres schien seine Nähe zu meiden. Er verrichtete die Arbeiten am Rennofen jetzt zusammen mit einem bulligen Mann, den man Prennes nannte, und ließ Lando eines Tages durch ihn ausrichten, er ziehe von nun an lieber in dessen Hütte.
    Die Einsamkeit war nur für kurze Zeit wohltuend. Dann kamen böse Träume wie Nachtdämonen über Lando, packten und würgten ihn, bis er wimmerte und schrie. Jetzt war Jon immer bei ihm, drückte ihm grinsend die Kehle zu, verwandelte sich mal in einen Wolf, der seine Fangzähne in sein Fleisch grub, mal in einen endlosen Wurm, der sich tief in seine Innereien bohrte, um ihn von innen her auszuhöhlen. Morgen für Morgen erwachte er mit bleiernen Gliedern, wenn Willems Eisenfaust an die Türe schlug, um die Montani zu wecken, und er musste all seine Kraft aufbringen, um sich vor die Morgensuppe zu setzen.
    Sepha hatte den Platz mit ihrer Schwester getauscht; sie war es jetzt, die den Männern die dampfenden Schüsseln brachte, während Reusin mit stumpfem Blick die Küchenarbeiten verrichtete. Ihr prachtvolles Haar hatte sie abgeschnitten; wüst und zerzaust wie ein verlassenes Mäusenest standen die Reste um ihr bleiches Gesicht. Sie hatte Lando nicht mehr angegriffen, nicht mehr seit jenem Tag vor der Johanneskapelle. Doch manchmal wünschte er sich ihren Zorn und ihre Wut wieder herbei, weil er die dumpfe Verzweiflung, die von ihr ausging, noch weniger ertragen konnte.
    Tat sie etwa irgendwas in sein Essen, damit er sich immer elender fühlte?
    Ihn plagten häufig Kopfschmerzen, was er früher gar nicht gekannt hatte, und manchmal krampften sich seine Eingeweide schmerzhaft zusammen. Immer schwerer fiel es ihm, die Finger zu spreizen, und er bemerkte, dass er schlechter hörte als früher. Ein paarmal war er drauf und dran, sich Baltus anzuvertrauen, ließ es dann aber lieber bleiben. Das, was er unaufhaltsam an Gewicht und somit auch an Kräften verlor, versuchte er, durch Fleiß und noch größere Anstrengung wieder wettzumachen.
    Er stand für Jon. Es musste also auch gelingen, die Arbeit zu leisten, die der Tote geleistet hatte.
    Doch das Gezähe war schwer, besonders wenn man in den engen Röhren liegend arbeiten musste. Es gelang Lando immer seltener, den Hals gerade zu halten, auch wenn die Arbeit zu Ende war. Doch Baltus, dem er es vorführte, lachte ihn nur aus.
    »Bist halt drauf und dran, ein Krummhals zu werden wie wir alle«, sagte er. »Das ist das dritte Gesetz, das hier unten gilt. Mach dir nichts draus! Alles immer noch besser, als sich schon in jungen Jahren den Rücken an den Hunten zu ruinieren.«
    Hunten, das waren die schmalen, niedrigen Kästen auf vier Rädern, in denen der Abtransport des gebrochenen Materials erfolgte, das nicht bereits per Kratze oder Trog nach oben geschafft worden war. Nur wer noch klein oder klein geblieben war, konnte das bewerkstelligen, und Lando sah mit Erschrecken, dass manche Montani bereits ihre zehnjährigen Kinder dafür einsetzten.
    Irgendwann dachte er schon, er habe sich an alles gewöhnt, auch dass die Müdigkeit

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