Liebe kommt auf sanften Pfoten
beschloss Juliet und versuchte, ihre Trauer mit positiven Gedanken zu verdrängen. Neue Rituale, wie zum Beispiel diesen schönen Spaziergang mit Minton vor dem Frühstück oder das Croissant, das sie heute Morgen genüsslich verspeist hatte. Das könnte ein Anfang sein. Und andere Leute könnten sich ihr gern anschließen, wenn sie es wollten.
Dann war da noch der zweite Weihnachtstag. Sie könnte eine Tradition für den zweiten Weihnachtstag begründen – gab es denn da irgendetwas, das sie sich abgucken könnte? Was tat man traditionell an diesem Tag in Irland? Lorcan hätte bestimmt schnell einen Vorschlag zur Hand, der auf etwas Guinnesshaltigem basierte.
Beim Gedanken an Lorcans fröhliche Gesellschaft wurde Juliet auch klar, wie sehr sie Emer vermisste. Es wäre bestimmt nett gewesen, nach der Familienfeier zu den Kellys zu flüchten, sich eine warme Decke zu schnappen und es sich auf dem großen Ledersofa dort bequem zu machen, nachdem man den Hosenknopf geöffnet hatte.
Diese Vorstellung verwandelte sich aber sofort in pures Chaos, das die vier Kelly-Kinder anrichten würden. Zudem schoben sich plötzlich unbegrenzte Zuckermassen, ein Besuch von Santa Claus, Emer, ihre ganze Familie und die vielen Alkoholflaschen ins Bild, sodass Juliet ihre Meinung lieber wieder änderte. Ihre wahre Weihnachtswohltat war vielleicht doch ihr ruhiges, endlich fertiggestelltes Wohnzimmer.
»Wo verbringt Lorcan denn Weihnachten?«, fragte Diane, als sie die Kartoffeln in die Pfanne gab, um sie dort kurz anzubraten. »Er hätte doch auch mitkommen können!«
»Die ganze Familie ist nach Irland geflogen, zu Emers Mum nach Galway«, erwiderte Juliet. »Danach fliegen Emer und Alec über Silvester nach New York, und Lorcan wollte, glaube ich, irgendein Konzert in Dublin besuchen.«
»Ah. Feiert Lorcan denn nicht mit einer Freundin ins neue Jahr hinein?« Diane zog vielsagend eine Augenbraue hoch.
»Er feiert mit mehreren Freunden Silvester.« Juliet schaute nicht auf. »Es ist ein Wiedersehen mit seiner alten Tour-Crew. Wahrscheinlich kehrt er am zweiten Januar mit einem neuen Tattoo und einem mordsmäßigen Kater auf.«
»Er ist ein wirklich netter Mann …«, setzte Diane an, und Juliet wusste genau, worauf das hinauslaufen würde.
»Er ist ein netter Mann, aber er hat eine Menge Altlasten, die er mit sich herumschleppt«, erwiderte sie darum nur knapp.
»Ach, tatsächlich? Was denn?«
»Reichlich«, antwortete Juliet. »Was bedeutet, dass wir zusammen mit unseren jeweiligen Altlasten einen ganzen Schrottplatz unterhalten könnten. Was wahrscheinlich keinem von uns weiterhelfen würde.«
»Du willst sagen, dass ihr schon darüber …«
»Hallo? Hallo!« Louises Begrüßung wurde von Dianes Begeisterungsrufen übertönt, als Toby – verkleidet in einem Plumpudding-Kostüm – in die Küche gestürmt kam. Seine stämmigen Beinchen, die unter dem Kostüm herausschauten, steckten in einer weißen Strumpfhose.
Einen Augenblick später folgte ihm Louise, die eine dunkle Jeans und eine lange Kaschmirstrickjacke in Stechpalmenrot trug, hinter ihr kam Peter herein. Er war frisch rasiert und stellte ein paar Champagnerflaschen auf den Tisch. Der Gesamteindruck der drei erinnerte an ein »Weihnachtsmagazin Spezial«.
»Hallo zusammen!«, rief er und hob zur Begrüßung die Hand. Juliet stellte fest, dass er seinen Ehering trug. Louise auch. Außerdem war Louises strahlendes Familienlächeln wieder zurückgekehrt, ohne jedoch diesen manischen Perfektionszwang, der sich in letzter Zeit hineingeschlichen hatte.
Sie sieht einfach nur glücklich aus, dachte Juliet. Und das war etwas, das sie selbst keinesfalls mehr für selbstverständlich hielt.
Der Vormittag verflog in einem Taumel aus Geschenken, Geschenkpapier, Schokolade und Champagnergläsern, und Juliet war geradezu erleichtert, immer wieder in die Küche flüchten zu können. Ihre Nerven beruhigte sie mit ihrer Countdown-To-do-Liste und den vielen Pfannen ihrer Mutter.
Von dem Frankenstein-Federvieh einmal abgesehen war es sicherlich nicht das schwierigste Menü, das sie ausgewählt hatte. Es war aber überaus befriedigend, den Braten für die fünf Erwachsenen, ein Kleinkind und drei Hunde aufzutischen, auch wenn die Kartoffeln vielleicht ein wenig zu viel Röstaroma besaßen und auch die Karotten nicht Kims Al-dente -Test bestanden hätten.
»Das war das beste Weihnachtsmahl aller Zeiten«, stöhnte Peter und schob seinen Stuhl zurück, nachdem er sich einen
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