Liebe oder so
aber nach diesem Telefonat sah ich ein, dass es vorerst wohl bei dieser einen Nacht bleiben würde. Was sie betraf, so war es vermutlich eine Art Verzweiflungsakt gewesen. Ich war ihr deswegen nicht böse, es gab schlimmere Arten, benutzt zu werden. Immerhin verabredeten wir uns für die kommende Woche, ich zählte die Tage bis dahin.
Helene hatte mich wiederholt zum Kaffee eingeladen. Ich fand es etwas seltsam, dass sie den Kontakt zu mir mit dieser Begeisterung aufrecht hielt, wo doch ihre Tochter längst mit ihrem neuen Freund im Hause ein und aus ging, doch ich fühlte mich andererseits in gewisser Weise auch geschmeichelt. Ludwig ging es inzwischen wieder besser, aber noch war mir die Garagengeschichte zu frisch in Erinnerung, als dass ich die Einladung frohen Herzens hätte annehmen können.
Meine Karre hatte ich direkt aus der Werkstatt heraus an einen armen Irren verkauft, der sie wieder herric hten wollte und stolz wie ein Schneekönig war, mich auf zweihundert Euro gedrückt zu haben. Ich wünschte ihm viel Glück und stieg in den Bus, unterm Arm die fünf Plastiktüten mit Kassetten, Überbrückungskabeln und diversem Kleinkram aus den Tiefen meines Autos. Den Krempel stellte ich unbesehen im Keller ab, sobald ich einen Job in Aussicht hatte, würde ich mir einen neuen Wagen leisten und die Tüten wieder einladen.
Eines Abends, ich träumte gerade mal wieder von Maries Körper, rief Jörg bei mir an. Ich hatte seit jenem Abend nichts mehr von ihm gehört, seine Selig-CD lag immer noch auf ihrem Platz und wartete darauf, abgeholt zu werden. Es ging ihm nicht gut, das hörte ich schon aus seinen ersten Sätzen heraus. Ich war nicht in der Stimmung dafür, mir hing schon mein eigenes Leben zum Hals raus.
„Komm auf den Punkt“, sagte ich also, „was ist los?“
Schweigen.
„ Jörg?“
„ Jenny ist weg.“
„Wie, weg?“, fragte ich.
„Weg halt. Fort, du weißt schon“, meinte er.
„Sie hat dich sitzen lassen?“
„Na ja… j a“, gab er zu.
„ Das ist hart.“
„Tja.“
Wieder Schweigen in der Leitung.
„Und jetzt?“, fragte ich schließlich.
„Was meinst du?“
„Na ja, was willst du jetzt von mir? Soll ich mich mit dir besaufen?“
„Äh... nun...“
„Vergiss es ! Du meldest dich doch grundsätzlich nur dann, wenn du einen Seelentröster wegen Jenny brauchst. Aber wenn du von mir erwartest, dass ich an Weihnachten deine Hand halte, bloß weil du dich einsam fühlst, dann hast du dich geschnitten.“
„Schon gut“, sagte er verärgert, „ich hab dich anger ufen, weil du mein Freund bist...“
Das war eindeutig das falsche Stichwort, mit dem durfte er mir inzwischen nicht mehr kommen.
„Nein - du hast angerufen, weil du dachtest, ich sei der Einzige, dem es noch dreckiger geht als dir, und du gehofft hast, dich neben mir schon gleich nicht mehr so schäbig zu fühlen.“
„Ist wohl besser, wir lassen das jetzt“, meinte er. „Ruf mich an, wenn du wieder normal bist, ja?“
„Aber das kannst du vergessen. Ich bin frisch verliebt und habe fantastischen Sex“, rief ich in den Hörer.
Als er aufgelegt hatte, dämmerte mir, dass ich gerade dabei war, das rechte Maß aus den Augen zu verlieren. Egal, das war längst überfällig gewesen, und mir würde nicht das Geringste fehlen, wenn ich für die nächste Zeit nichts mehr von ihm hörte. Dennoch, die Stimmung war irgendwie im Eimer.
Uninspiriert blätterte ich in Kühnes Faust , der immer noch auf dem Tisch lag. Doch Goethe war mir an diesem Abend einfach zu hoch, und ich wählte schließlich Caros Nummer.
Armin war dran. „Sie ist nicht da“, sagte er, „hat irgendwas von einem Termin gesagt.“
„Weißt du, wann sie wieder zurück ist?“
„Nein.“
„Könntest du ihr dann sagen, dass ich angerufen hab, wenn sie wieder da ist?“, fragte ich.
„ Klar.“
So liefen Telefonate mit Armin meist ab. Je länger ich ihn kannte, desto seltsamer schien er zu werden, ich fragte mich, ob das nur mir so mit ihm erging.
Ich nahm meine Jacke und drehte draußen eine Runde, um auf andere Gedanken zu kommen. Es war schneidend kalt, ich vergrub meine Fäuste tiefer in den Hosentaschen und lief ziellos ein paar Blocks weit. Die Gehsteige waren von frisch gefallenem Schnee überzogen, ein Hauch von Weihnachten lag in der Luft. Und tatsächlich, schräg gegenüber band gerade jemand einen mannsgroßen Nikolaus an seinem Balkongeländer fest.
Schon bald würden meine Nachbarn mit Hilfe von unzähligen
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