Liebe, Sex und andere Katastrophen
dieses Gerücht hatte durchsickern lassen, aber man wusste ja nie.
Einmal pro Woche kam eine Freundin ihrer Mutter zu ihnen nach Hause, um mit Olive zu sprechen. Sie war Ärztin und versuchte, ihr durch Reden und Zuhören zu helfen, das Erlebnis zu verarbeiten. Dabei wollte Olive alles vergessen und nicht immer wieder neu aufrollen.
Von ihrem Dad erfuhr sie, dass Marisha Lansburry von den Ärzten langsam aus dem künstlichen Tiefschlaf geholt wurde, damit sie befragt werden konnte. Unwillkürlich dachte Olive an das Begräbnis von Marishas Vater und ihrem Bruder, an dem das Mädchen nicht hatte teilnehmen können. Ein Teil des traurigen Schauspiels war von einem Nachrichtensender im Fernsehen übertragen worden. Der Reporter hatte den Zuschauern mit ernster Miene mitgeteilt, dass die ganze Stadt entsetzt, empört und tief betroffen war. Aus Sicherheitsgründen hatte das Begräbnis unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden. Die Straßen waren großräumig abgeriegelt und die Trauernden von bewaffneten Polizisten flankiert worden.
Danach hatte der Polizeichef eine kurze Pressekonferenz gegeben, in der er verlautbarte, dass seine Leute bereits einer Spur nachgingen. Details wollte er nicht preisgeben. Auch Olives Vater hielt sich bedeckt und wich ihren Fragen zu dem Thema geschickt aus. Sie verstand zwar, dass er sie schützen wollte, und auch, dass er ihr aus beruflichen Gründen nichts verraten durfte, dennoch machte seine Verschlossenheit sie wütend.
Das Klingeln ihres Handys riss sie aus den Gedanken. Rasch setzte sie sich im Bett auf und griff nach dem Telefon.
»Thony.«
»Liv.«
»Du fehlst mir.«
»Du mir auch. Geht’s dir besser?«
Für einen Moment schloss sie die Augen. »Nein. Ohne die Beruhigungstabletten kann ich immer noch nicht schlafen. Ich sehe ständig das Mädchen vor mir und die Männer, wie sie … erschossen werden. Dann wache ich schreiend und schweißgebadet auf und kann mich nicht beruhigen. Deshalb schlucke ich die Pillen lieber und kann traumlos durchschlafen.«
Eine Weile herrschte betroffenes Schweigen. Olive wusste, dass Anthony sich die Schuld dafür gab, dass sie dieses schreckliche Erlebnis mit ansehen musste.
»Mir geht es ähnlich, Liv.«
Sein Eingeständnis erschreckte sie zutiefst. »Aber … du warst doch immer so cool und hast behauptet …«
»Ich weiß«, unterbrach er sie schuldbewusst, »ich habe gelogen, damit du dir keine Sorgen um mich machst. Aber …« Er stockte und sie hörte ihn hart schlucken. »In Wahrheit habe ich Angst.«
Das musste sie erst einmal sacken lassen.
»Wenn ich rausgehe, blicke ich mich dauernd um, weil ich das Gefühl habe, verfolgt zu werden. Aber wenn ich mich umdrehe, kann ich keinen Verdächtigen entdecken. Der Streifenwagen fährt immer noch in unserer Straße auf und ab, trotzdem habe ich ein komisches Gefühl. Es verfolgt mich bis in den Schlaf. Das Schlimme ist, dass ich mit niemandem darüber reden kann. Mein Vater, du weißt schon … na ja, er ist mir keine Hilfe. Manchmal glaube ich, dass ich verrückt werde.«
Nur mühsam konnte sie die Tränen zurückhalten. »Nein, Thony, nein, du bist nicht verrückt.« Sie wollte ihn in den Arm nehmen und trösten.
»Ich … ich hätte das nicht sagen sollen. Ich bin ein Idiot! Alles, was ich mache, mache ich falsch. Verdammt, Liv, ich bin dafür verantwortlich, dass du in deinem eigenen Elternhaus behandelt wirst wie eine Gefangene. Ich bin verantwortlich dafür, dass du nicht schlafen kannst und … es tut mir so leid, Liv.«
Sie schluchzte leise. »Thony, sag das nicht. Bitte.«
»Es ist aber so. Ich bin nicht gut für dich. Ich bringe dich in Gefahr. Deine Eltern …«
Entsetzt sprang sie auf. »Was heißt das? Willst du etwa mit mir Schluss machen?«
Zitternd presste sie eine Hand auf den Mund. Schweigen folgte.
»Tu das nicht, Thony. Das darfst du nicht. Du bist mein einziger Halt. Mein einziger Lichtblick …«
»Ich … ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich will doch nur, dass du glücklich bist und dass es dir gut geht.«
»Dann verlass mich nicht. Ich brauche dich«, sagte sie unter Tränen.
»Ich brauche dich auch«, gab er kleinlaut zu. »Ich brauche dich so sehr.«
»Dann stoß mich nicht weg, hörst du? Niemals.«
»Okay.«
»Okay.«
»Ich hätte es sowieso nicht übers Herz gebracht. Du sitzt schon zu tief in ihm drin.«
Traurig lächelnd setzte sie sich auf die Bettkante. »Und du sitzt schon zu tief in meinem Herz drin.«
Er schickte ihr
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