Liebe sucht sich einen Weg
du?“, hatte sie sich erkundigt. Er überhörte ihre Frage geflissentlich und sie bohrte nicht nach – ganz anders als Friederike, die nicht eher ruhen und rasten würde, bis sie die genaue Adresse erfuhr. Anna hingegen war nie wieder auf dieses Thema zu sprechen gekommen. Sicher glaubte sie, er wolle seine Privatsphäre schützen, und respektierte diesen Wunsch.
Ihm war heiß und er hatte Durst. Er holte sich ein Glas Wasse r und stellte sich damit ans geöffnete Fenster. Tief atmete er die kühle Nachtluft ein. Nach und nach wurde ihm klar, was er zu tun hatte. Er konnte Anna nicht überrumpeln, sie nicht einfach ins offene Messer rennen lassen. Sie musste vor Sonntag, elf Uhr, erfahren, wer Julian Schorn war. Und sich dann frei entscheiden, ob sie ins Fährhaus kommen wollte oder nicht.
Schweren Herzens fuhr er seinen Computer hoch. Wie sollte er es ihr schonend beibringen? „Denk nicht zu lange nach“, riet er sich selbst, „schreib einfach.“ Und er schrieb:
„Liebe Anna, Julian Schorn heißt in Wirklichkeit Julius Horsten und ist – beziehungsweise war – der Besitzer von Bero und damit der Mann, über den du dich so oft geärgert hast. Bitte sei ihm nicht böse! Er hat sich nur hinter einem falschen Namen versteckt, weil er dich unbedingt näher kennenlernen wollte (er mag dich nämlich sehr!) und weil er wusste, dass Julius Horsten keine Chance bei dir hatte. Bitte melde dich und sage ihm, dass du ihm seine Maskerade nicht übel nimmst! Er hofft von ganzem Herzen, dich am Sonntag um elf Uhr im Fährhaus zu sehen. Julian alias Julius“
Nachdem er diese E-Mail abgeschickt hatte, fiel er endlich in einen unruhigen Schlaf.
***
Donnerstag. Noch drei Tage bis Sonntag! Den ganzen Morgen, Nachmittag und Abend wartete Julius auf ein Lebenszeichen von Anna. Unentwegt öffnete er sein E-Mail-Programm, bekam Herzklopfen, wenn er sah, dass eine neue Nachricht eingegangen war, und seufzte enttäuscht auf, weil sie nicht von ihr kam.
Bis spät abends saß er auf dem Sprung, um sein Handy ans Ohr zu reißen, sollte es schellen. Aber es schellte nicht. Er überlegte, ob er sie selbst anrufen sollte, wählte einmal sogar ihre Nummer, doch dann verließ ihn der Mut und er hängte schnell wieder ein.
Am Freitag tat sich ebenfalls nichts. In seiner Verzweiflung sandte er ihr eine Nachricht über Yasni: „Mit Yasni fing es an – hört es auch mit Yasni auf? Wenn ja, dann schreib es mir! Bitte antworte auf diese Kurznachricht!“ Er wartete vergebens.
Ein Fünkchen Hoffnung hatte er noch: „Vielleicht hat sie ihr Exposé nicht aufgerufen“, überlegte er, „und deshalb diese Nachricht nicht gesehen.“
Doch auch am nächsten Tag hörte er nichts von ihr.
Am Samstag nachmittag hielt er es kaum noch aus. Zwischendurch war er drauf und dran, in sein Auto zu steigen und zu ihr zu fahren. Letztendlich entschied er sich jedoch dagegen. Wenn sie nicht einmal bereit war, mit ihm zu telefonieren oder ihm zu schreiben, würde sie erst recht nicht wollen, dass er vor ihrer Tür stand.
Trübsinnig saß er am Sonntagmorgen im Schlafanzug am Frühstückstisch und starrte in seine Tasse. Der Kaffee darin war längst kalt geworden, das Käsebrot hatte er nicht angerührt. Er musste den Tatsachen ins Auge sehen: Er hatte seine Liebe in den Sand gesetzt. Alles hatte er kaputtgemacht mit dieser albernen Geheimniskrämerei, sich verrannt in seinen Lügen, die er viel zu lange aufrechterhalten hatte. Und nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden, dass Anna für ihn verloren war.
In dieser Situation sehnte er sich besonders heftig nach Bero. Wie sehr würde seine Gesellschaft ihn jetzt trösten!
Gegen Viertel vor zehn begann sich ein Gedanke sich in ihm zu regen. Kurz nach zehn zog er sich an. Und um halb elf setzte er sich wider besseres Wissen in seinen Wagen und fuhr zum Fährhaus.
Es war ein herrlicher Sommertag, doch er ging in das Restaurant hinein und wählte einen Platz am Fenster, von wo aus er den Eingang und einen großen Teil der Terrasse im Auge behalten konnte. Beinahe hätte er den Kopf über sich selbst geschüttelt. Er war wohl nicht ganz dicht! Hoffte er etwa ernsthaft, dass sie zu der Verabredung erscheinen würde?
Eine Kellnerin fragte nach seinen Wünschen. Er bestellte Kaffee und ein Croissant. Inzwischen war es zehn nach elf. Von Anna – wie zu erwarten – keine Spur.
Die Kellnerin brachte ihm das Gewünschte. Lustlos nahm er das Hörnchen, würgte einen Bissen hinunter,
Weitere Kostenlose Bücher